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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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geht aufs Haus. Als Dank für die Hilfe.«
    »Komm schon, du bist doch arm wie eine Kirchenmaus.«
    »Langsam schließe ich seinen vormaligen Besitzer ins Herz. Es ist
übrigens echt.«
    »Typisch du. Nagst am Hungertuch und wirst einem Toten gegenüber
sentimental, den du zuvor eiskalt beraubt hast.«
    Auf meinen erstaunten Blick hin erwiderte er: »Hab’s in der Zeitung
gelesen und zwei und zwei zusammengezählt.«
    »Reichi, sag, bei dem Geschäft …«
    »Du meinst, gefälschte Elektronik kaufen, als Kuckuckseier Apple
unterschieben und selber weiterverkaufen?«
    »Genau. Sag, was schaut da heraus?«
    »Ohne dass es auffällt, meinst du?«
    Ich nickte.
    »Kann nur raten. Aber da in Wien praktisch das ganze Sortiment für
Mittel- und Osteuropa ankommt, schätze ich, dass man im Monat so an die 100
Computer und entsprechendes Kleingerät unterbringen kann. Dann kommt’s darauf
an, was man verlangt.«
    Ich nickte und genehmigte mir einen Schluck Tee. Nun stellte sich
nur mehr die Frage, wie viel ein Menschenleben wert war und wie lange man so
einen Deal durchziehen konnte.
    »Das Ganze ist also eine Peanutssache.«
    »Na geh, das wird im Jahr bestimmt auf eine runde
halbe Million hinauslaufen, die übrig bleibt. Praktisch ohne Risiko und
Arbeit. Wenn die Chinesen schon die richtigen Packerln machen, mit Logo und
allem, sind das nach der Vorbereitung nicht mehr als 20 Minuten
Gabelstaplerfahren in der Woche.«
    »Gegen die 10.000 Nummern, die täglich in Wien bezahlt werden,
oder die zwei Kilo Schnee sind das Peanuts.«
    »Mhmmm, hast recht. Wir sollten den Beruf wechseln.« Er lächelte.
»Ich meine, ich sollte den Beruf wechseln, du hast ja bereits umgesattelt, scheint’s.«
    »Ja, ich hab mich outgesourct, da liegt die Zukunft.«
    »Hab’s dir immer gesagt, als Philologe im Zeitalter des Shareholderkapitalismus
stirbst du aus wie die Dinos.«
    Ich zahlte, und wir machten uns daran zu
gehen. Als ich mich ächzend erhob, konnte er seine Neugier nicht mehr zügeln. »Was ist mit dir passiert? Du schaust aus wie der junge Tod und
bewegst dich wie sein Opa!«
    »Renkontre mit einer 200-Kilo-Nutte. Auf Koks.«
    »Schmäohne jetzt. Berufsrisiko?«
    »Genau.«
    »Naja, es hätt dich ja auch ein kupferbeschlagener
Schweinslederfoliant aus dem obersten Regal erwischen können, während du
irgendeinen alexandrinischen Grammatiker gesucht hast.«
    »So kann man’s auch sehen. Wär wenigstens ein würdiger Tod
gewesen. Hätt eine gute Grabinschrift abgegeben.«
    Er grinste schäbig und ging hinunter zur U2, ich hinauf zum
Opernring.

IV
     
    Vis-à-vis
der Oper liegt der Opernringhof. Im Erdgeschoss befinden sich unter dem, was
die 50er als Arkaden bezeichneten, Geschäfte und Lokale. Oben sind Büroräume,
Praxen und Konsularabteilungen untergebracht. Zwischen dem Espresso-Café und
einem Billigflugreisebüro führt an den Dum-Dum-Records der Weg zur Stiege E.
Man tritt durch eine gläserne Tür in den Liftraum, der, ganz in braunem Marmor
und stumpfem Messing gehalten, an das Mausoleum des Kim Il Sung in Nordkorea
gemahnt.
    Die Lifttüren glänzen stählern, während über ihnen zwei
elektronische Liftstandsanzeigen aus dem Neolithikum der Technologie in roten,
eckigen Zahlen ihren Dienst tun. Zwischen den beiden Türen, die schon leicht verbeult
sind, steht, ebenfalls in bräunlich mahnenden Messinglettern, das Wort Lift.
Der Besucher erschauert und tritt ein. Wenn noch irgendwo die 50er leben, dann
hier.
    Ich stieg in den Lift, wählte den 4. Stock und ruckend schlossen
sich die Türen. Im Gegensatz zu den Aufzügen in Pjöngjang funktionieren hier
allerdings die Türsensoren und so stieg im letzten Moment eine Schar von Frauen
dazu. Sie glotzten mich an wie ein unbekanntes Tier. Eine nach der anderen
stieg aus, bis ich alleine im Lift war, sich die Tür öffnete und ich in den
Gang des 4. Stockes trat.
    Ein grüner Läufer auf olivgrünem Linoleum, dunkelolivgrün mit
Ölfarbe gestrichene Wände, über Schulterhöhe hellolivgrün. Ohne natürliches
Licht, Neonleuchten an der Decke. Alles dreckig und alt. So mussten die
Korridore ausgesehen haben, in denen brave Apparatschiks die Verwaltungsarbeit
für den ›Archipel Gulag‹ leisteten. Ganz hinten fand ich Dittrichs Büro, ich
klopfte und trat ein.
    Vor mir lag ein kleines Vorzimmer, etwa vier
mal fünf Meter groß. Zwei Fenster gingen hinaus auf die Straßenseite. Auf
den Fensterbrettern standen kleine Grünpflanzen,

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