Papierkrieg
Kunst zu tun?«
»Bisch nügierig hüt.«
»Immer.«
»Gruetziwohl.« Fred legte auf. Mein »Ciao« sagte ich nur mehr zu
mir selbst. Ich packte zusammen und sperrte ab. Als ich an der Glastür des
Sekretariats vorbeikam, ging die Tür auf und Frau Nettig stand vor mir. Sie
wedelte mit einem Zettel.
»Von der Frau Professor, soll ich Ihnen geben. Mit Entschuldigung,
dass sie’s gestern vergessen hat.«
In der nächsten Sekunde war die Tür auch schon zu und ich las mir
den Wisch durch. Am Dienstag sollte ich einen Vortrag im Rahmen eines
interdisziplinären Kongresses halten. Ich faltete das Blatt zusammen und
steckte es in meine Jacke. Gott sei Dank bestand die Möglichkeit, dass ich bis
dahin unter die Räder gekommen war.
Ich trank das dritte M-140, die Farben explodierten, kleine
Lichtpunkte schossen durch mein Blickfeld und ich machte mich auf zur Nationalbibliothek.
III
Ich
ging die Treppen hinunter, aus dem Haupttor hinaus, und überquerte den Ring.
Als ich am Café Landtmann vorbeikam, sah ich Hans Rauscher die Presse lesend
frühstücken. Dann ging ich durch den Volksgarten, am Theseustempel vorbei. Der
nasse Sand der Wege klebte an meinen Schuhen, der Wind blies und die kalten
Tropfen stachen wie kleine Nadeln im Gesicht. Die leeren Beete und kahlen Bäume
wirkten traurig in der grau-nassen Stadt. Schließlich überquerte ich den
Heldenplatz und ging in die Nationalbibliothek.
Eine kleine Treppe, flankiert von zwei steinernen Löwen, führt in
einen kleinen, vestibülähnlichen Vorraum. In den vier Ecken des Raumes stehen
die Statuen von Göttern: Aphrodite, aus der Muschel steigend, Phöbos Apollon,
die Jungfrau mit dem Kind und Athene mit der Eule. Sobald meine Füße den
glatten Marmorfußboden des Innenraumes berührten, fand ich Ruhe. Ich legte in
der Garderobe ab, ging an den Eingängen zum Ephesusmuseum und zur
Antikensammlung vorbei und durch das Drehkreuz in die Bibliothek.
Drinnen setzte ich mich zu den Computern. Eine Bibliothek ist wie
eine Orgel, wer sie zu benutzen versteht, dem gibt sie alles. Nachdem ich
ausgiebig recherchiert hatte, füllte ich die Entlehnscheine aus und ging zur
Ausgabe.
Erich begrüßte mich mit einem Kopfnicken. Er war recht klein,
sodass er Mühe hatte, über die Ablagefläche zu blicken. Wie immer war er adrett
gekleidet, seine Garderobe hätte einem Concierge in einem Nobelhotel zur Ehre
gereicht. Ich gab ihm die Scheine.
»Expressaushebung?«
»Wenn’s geht, wäre schön.«
»Sicher, kein Problem für Sie, Herr Doktor. In 20 Minuten können
Sie die Bücher abholen.« Er reichte mir meinen Sitzplatzschlüssel und ich ging
in den großen Lesesaal, der mit seinem biederen Design wie das Interieur eines
sowjetkommunistischen Hotels aus den 60ern wirkt. Wenn man sich bemüht,
vermeint man fast noch die Echos einer Breschnew-Rede an den Wänden huschen zu
hören.
Die große Fensterfront schaut nach Südosten, was dazu führt, dass
im Sommer selbst bei geschlossenen Fenstern Schweiß und Tinte auf dem Papier
ineinanderfließen. Im Winter hingegen ist es gerne einmal beißend kalt, sodass
den Lernbeflissenen niemals langweilig wird. Heute war der Blick auf den
Burggarten trostlos. Grau in Grau in Grau.
Ich ging nach vorne, holte mir einen Band des deutschen
Wörterbuchs der Brüder Grimm heraus und vertiefte mich in eines der größten
Monumente menschlichen Geistes, das uns überliefert ist. Nebenbei ist es auch
ein Fenster, um in die Zeit blicken zu können, da innerhalb weniger Jahrzehnte
eben dieses Wörterbuch, die ›Kritik der reinen Vernunft‹, der ›Faust‹ und
Mozarts ›40. Symphonie in G-Moll‹ die Bühne der Weltgeschichte betraten. In
angenehmer Gesellschaft vergeht die Zeit schneller, und so waren die 20 Minuten
längst verflogen, als ich auf die Uhr blickte.
Widerwillig kehrte ich in eine Zeit zurück, deren Highlights aus
Tiefkühlpizza, Wolf Martin und Starmania bestehen.
Ich holte mir die Bücher und Zeitschriften ab, die ich bestellt
hatte, und setzte mich zurück an mein Pult. Vor mir stapelten sich die Bücher
zu einem Berg, dem nur wenig fehlte, um eine Krone aus ewigem Eis zu tragen. Es
war Zeit, ein wenig über die Textgeschichte des Werks herauszufinden, dessen
XVI. Gesang ich Dittrich verkaufen wollte. Mühsam rekonstruierte ich, in
vergilbten Seiten blätternd, die Überlieferungsgeschichte der
Batrachomyomachia, indem ich zuerst die Indizes der Jahrgangsendhefte der
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