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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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stachlig und spitz. Die
Stirnseite war mit einem großen Aktenschrank zugestellt, in dem Ordner aus
vergessenen Jahrzehnten verstaubten. Es herrschte der klassische Büroduft nach
Filterkaffee, Staub und Würfelzucker, mit einer Nuance Kopierflüssigkeit.
Rechts von mir stand der Schreibtisch, hinter dem Dittrichs Sekretärin saß.
Eine wahrhaft monumentale Frau, Mitte 50. Das graue Haar war zu einem Dutt
zusammengebunden, sie selbst war korrekt gekleidet. Während sie die Augen vom
Bildschirm hob, tippten ihre Hände ungestört weiter.
    »Ja, bitte. Was kann ich für Sie tun?«
    Die Dame hatte eine der schönsten Stimmen, die ich je vernommen
hatte. Hätte ich sie am Telefon gehört, hätte ich mich sofort in sie verliebt.
So mussten die Sirenen in Odysseus’ Ohren geklungen haben, als er festgezurrt
am Mastbaum stand, während seine Gefährten mit Wachs in den Ohren ruderten. Ich
wusste, ich würde nie mehr ruhig schlafen können, immer wäre mir die Stimme im
Ohr.
    »Linder. Ich habe einen Termin mit Herrn Dittrich.«
    Sie blickte kurz in ihr Notizbuch. »Ah ja, wenn Sie gleich
eintreten wollen, Herr Doktor.«
    »Danke.« Ich wollte gleich, aber nicht eintreten, sondern Ohren
und Seelen an ihrer Rede weiden. Ihre ›A’s‹ waren ein Wohlgefallen, und
entsprachen dem, was die Brüder Grimm »den edelsten, ursprünglichsten aller
Laute« nennen. Ihre Semivocales, die fließenden Konsonanten ›LMNR ‹ ,
versetzten mich in Entzücken. Leider hatte ich noch kein ›M‹ von ihr gehört,
aber das würde schon noch werden. Bereits an der Tür stehend, wandte ich mich
zu ihr zurück.
    »Könnte ich vielleicht einen Kaffee bekommen?«
    »Sicherlich.«
    »Mit Milch, bitte.«
    »Mit Milch, sofort.«
    Ich hasse Kaffee mit Milch, aber manchmal muss man über Leichen
gehen. Zum Beispiel, wenn man ein ›M ‹ hören möchte. Befriedigt
klopfte ich leise und trat in Dittrichs Büro ein.
    Hinter der Milchglasscheibe befand ich mich
ein einer anderen Welt. Obwohl es draußen regnete, war herinnen Sonnenschein.
Ein weicher Turkmene in Rot, Schwarz, Weiß lag auf dem Boden. Er stammte
offensichtlich noch aus der Zeit vor Turkmenbashis irrwitzigem Exportverbot.
Ein schwerer Schreibtisch aus Ebenholz thronte vor der Stirnseite. Die Wände
waren mit Bücherregalen vollgestellt. Neben handelsüblichen Exemplaren waren
einige Reihen auch ausschließlich bibliophil besetzt. Ich sah Buchrücken mit
Saffian-Leder überzogen, die von der goldenen Blüte venezianischen Handwerks
zeugten, neben abgenützten Einbänden, vom Glanz tausender Handberührungen
geadelt. Ich roch ihn sogar, den leicht pfeffrigen Duft der Seitenschönheiten.
In der Ecke neben dem Schreibtisch war eine Ledergarnitur aufgestellt, mit
einem Armsessel, einer Chaiselongue und einem Rauchertischchen. Dieses war ein
Frevel, denn seine Einlegearbeit bestand aus echtem Elfenbein. Alles atmete
Kultiviertheit und Geschmack.
    Dittrich stand auf und kam von hinter dem Schreibtisch auf mich
zu. Wir schüttelten uns die Hände und er wies mir den Platz im Armsessel zu.
Kaum hatten wir uns gesetzt, da kam bereits die wohlklingende Sekretärin mit
einem Tablett, Kaffee, Tassen und dem üblichen Zubehör herein. Sie stellte es
auf das Tischchen, Dittrich nickte ihr zu und schon schloss sie die Tür von
draußen.
    Ich machte mir einen Kaffee, wohl oder übel musste ich mir einen
Tropfen Milch hineingießen. Dittrich ging zum Schrank hinter seinem
Schreibtisch, öffnete eine Lade und Gläser klirrten. »Wollen Sie auch einen?«
    »Nein danke, mir reicht der Kaffee.«
    »Gut, aber es stört Sie doch nicht, wenn ich trinke? In meinem
Alter muss man nicht mehr strenge Diät leben.«
    Dittrich schenkte sich ein Glas ein und
setzte sich mir gegenüber auf die Chaiselongue. Er war in den unvermeidlichen
dunklen Anzug mit der roten Krawatte gekleidet, es fehlte nur mehr die Nelke im
Knopfloch. An der Linken trug er eine schwere Uhr, am Ringfinger einen Goldring
mit dunklem Bernstein. Er hatte schwere Tränensäcke, eine kleine Nase,
tiefliegende Augen und hinter den Ohren zwei Büschel weißen Haars.
    »Rauchen Sie?«
    »Nein, auch hier muss ich leider ablehnen.«
    »Aber in meinem Büro wollen Sie es mir doch nicht verbieten?«
    »Keineswegs. Im Herzen bin ich Kettenraucher, nur eben ohne zu
rauchen. Ein Raucher in der inneren Emigration, könnte man sagen.«
    Dittrich stellte sein wohlgefülltes Glas ab und bückte sich unter
den Tisch.

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