Papierkrieg
eine arrogante
Frau, sondern war von einer Sekunde zur anderen ein schutzbedürftiges, kleines
Mädchen geworden. Schwach und verletzlich. Ich hätte sie fast in den Arm
genommen.
»Was haben Sie am Dienstag in der Felberstraße gemacht? Wie sind
Sie dahin gekommen?«
Die Meyerhöfferin saß mit angezogenen Beinen auf der Couch. In
ihren Augen glänzten ein paar stille Tränen. »Weiß ich nicht mehr.«
»Kommen Sie mir nicht so, Ihr Benz stand einwandfrei vor dem Haus
geparkt. Als Sie gekommen sind, waren Sie vollkommen nüchtern.«
Sie schaute mich nur groß an, Wort bekam ich keines von ihr zu
hören. Ich machte einen Schritt auf sie zu, versuchte dabei, groß und böse
dreinzuschauen und schnappte mir ihr Handgelenk. »Sag’s mir, oder ich brech dir
den Arm.«
Eingeschüchterten Mädchen kann man gut drohen.
»Ich war bei ihm, weil …, weil er …«, sie schlug die Hände vor die
Augen und schluchzte.
»Bei wem?«
»Ihm.«
»Bei wem? Sag mir den Namen.«
»Slupetzky.« Sie schrie den Namen und riss sich los. Nach diesem
Aufschrei kugelte sie sich wieder wie ein Kätzchen zusammen und barg den Kopf
in einem weichen Kissen. In diesem Moment hätte ich es wissen müssen, aber ich
wusste es nicht. Ich war blind und machte einfach weiter.
Noch immer hielt ich ihr Handgelenk, ich drückte zu und drehte ein
wenig. Sie sog hörbar Luft ein und kam wieder hinter dem Kissen hervor.
»Was ist mit Slupetzky und dir?« Ich brüllte fast. »Warum warst du
bei ihm?«
»Weil …, weil …, er wollte …«, sie schluckte, aber bekam nichts
mehr über die Lippen. Erst nach ein paar Sekunden war sie wieder so weit,
sprechen zu können: »Und darum nahm ich auch die Tropfen, ich wollte es nicht
mitbekommen …« Weiter kam sie nicht, wieder schüttelten sie Weinkrämpfe.
Endlich blickte ich durch. Der Moment der Erkenntnis kann
entsetzlich sein. »Als du aufgewacht bist, hast du ihn gefunden.«
Sie nickte. Ich hielt sie noch immer an der Hand, aber nicht
länger drohend. Ich setzte mich zu ihr. »Er hat dich erpresst?«
Sie nickte.
»War er allein?«
»Als ich kam, war es acht, da war er allein. Ich hab gleich die
Tropfen genommen und dann weiß ich nichts mehr, erst wieder, als ich am Tag
danach zu Hause aufgewacht bin.« Sie beruhigte sich wieder.
»Und um was ging’s mit Slupetzky?«
»Wir haben Blödsinn angestellt und er wollte alles meinem Vater
erzählen.« Sie nahm sich die Zigarettenpackung vom Beistelltischchen und
rauchte an. Ihre Hände zitterten ganz leicht. Blaue Venen schimmerten sanft
durch ihre weiße Haut, die ich am Handgelenk rot gefärbt hatte.
»Was für Blödsinn?«
»Sagen Sie, sind da wirklich meine Fingerabdrücke auf der Waffe?«
»Ich habe zuerst gefragt.«
»Aber ich bin das Mädchen.«
»Na gut, nein. Ich wollte Sie nur unter Druck setzen. Die Polizei
weiß nichts von Ihnen und die Waffe ist ungefährlich. Jetzt bin ich dran: Was
für Blödsinn?«
»Wenn ich Ihnen das erzähle, sind Sie der nächste, der mich
erpresst.«
»Sagen Sie es mir. Sonst tauchen die belastenden Beweise wieder
auf. Irgendwer hat sie. In Slupetzkys Wohnung waren sie jedenfalls nicht.«
»Es gibt keine Beweise. Wenn Slupetzky tot ist, kann niemand mehr
etwas damit anfangen.« Sie trocknete ihre Tränen.
»Und bitte sagen Sie auch meinem Vater nichts von der Sache.«
»Keine Sorge, das bleibt unter uns. Aber geben Sie mir Ihre
Telefonnummer, ich werde Sie sicher anrufen müssen.«
»Wie sind Sie eigentlich hereingekommen?«
»Ivanka hat mich reingelassen. Ihre Eltern waren nicht zu Hause,
da haben Sie Glück gehabt.«
»Kann man sagen.«
Mittlerweile war die Kleine wieder ganz auf dem Damm. Hatte sich
verflixt schnell erholt. »Wollen Sie vielleicht noch ein Glas mit mir trinken?«
»Nein, ich denke es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Schon genug
Unheil angerichtet.«
Sie lächelte tapfer und brachte mich zur Tür. Ich ging den
Steinweg entlang, durch das Gartentor und die Gasse hinunter. Hinter dem
nächsten Busch, der zwar noch kahl war, aber ein dichtes Geäst hatte, blieb ich
stehen und wartete. Das machte mir nichts aus, denn es gab genug nachzudenken,
während ich Ivankas Erscheinen entgegensah. Irgendwo in den Bäumen rund um die
Meyerhöffer-Villa sang ein einsamer Vogel sein Lied. Doch es war noch zu früh
im Jahr, er war allein und sein Gesang hatte keine Wirkung.
X
Es
dauerte nicht lange und Ivanka kam die Straße heruntergefahren. Sie
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