Papierkrieg
ich mein Handy heraus und wählte Mihailovic an. Nach dem
zehnten Klingeln meldete sich die Mailbox. Ich legte auf und machte mich auf
den Weg zur U-Bahn. Im Gehen wählte ich nochmals. Der Schweiß stand mir auf der
Stirn, obwohl es draußen kalt und windig war. Wieder ging nur die Mailbox ran.
Ich steckte das Telefon weg und rannte los.
III
Gute
30 Minuten später stand ich vor der Haustür in der Herbststraße 20 und
klingelte. Der Summer ließ auf sich warten, deshalb drückte ich so viele
Klingeln, wie ich nur erreichen konnte, und kurz darauf summte der Türöffner.
Ich trat ein, lief den dunklen Gang entlang, zwischen den Mülltonnen hindurch
in den Innenhof, der noch immer mit allem möglichen Krimskrams von
Waschmaschinen über Fahrräder bis hin zu pittoresken Autoresten vergessener
Ostblockmodelle vollgeräumt war. Dann durch den Eingang zur Stiege II hinauf in
den Mezzanin. Die Wohnungstür fand ich angelehnt. Mein Herz raste, teils wegen
des Sprints von der U-Bahn-Station hierher, teils der Aufregung wegen. Ich
streckte bereits meine Hand aus, um die Türe zu öffnen, als endlich mein
Verstand wieder zu arbeiten begann. Er hat zwar ungewöhnliche Arbeitszeiten und
öfter ein paar Wochen hintereinander frei, aber wenn ich ihn brauche, ist er
meistens da. Also zog ich meine Hand wieder ein und stellte mich ganz ruhig
hin. Ich lauschte auf mögliche Geräusche in der Wohnung, hörte aber nichts,
weil mein Herz zu laut schlug. Nach und nach beruhigte ich mich aber. Aus der
Wohnung war kein Laut zu vernehmen. Ich wappnete mich gegen allerlei
Katastrophenszenarien, zog den Ärmel meiner Jacke über die rechte Hand, um
Spuren zu vermeiden, und öffnete leise und behutsam die Tür. Drinnen war es
still. Vorsichtig trat ich ein, alle Sinne aufs Äußerste gespannt. Als sich
noch immer nichts rührte, lehnte ich die Tür wieder an, so wie ich sie
vorgefunden hatte, die Hand immer noch in meinen Ärmel gehüllt. Ich machte ein
paar Schritte in die Wohnung hinein. Die Küche war leer und still. Im Wohnzimmer
fand ich Mihailovic. Er lag bäuchlings über dem umgekippten Tischchen,
mausetot. Ich musste weder seinen Puls fühlen, noch mein Ohr an seine Brust
legen, um das zu wissen.
Er hatte sich für den größten Tag in seinem Leben herausgeputzt.
Ein dunkelblauer Kammgarnanzug, ein blütenweißes Hemd und eine schwarz-gelb
karierte Seidenkrawatte machten seine Aufmachung aus. Nur die unbekleideten
Füße, von denen die Hauspantoffeln heruntergefallen waren, steckten in
geflickten Socken. Ein großer Zeh lugte vorwitzig heraus.
Über dem Bauch war das Hemd zerrissen und blutig. Mehrere
Einschusslöcher waren zu sehen. Das Blut, sowohl auf seinem Körper als auch in
den Lachen am Boden, war noch rot und fast nicht geronnen.
Überhaupt fanden sich zahlreiche Kampfspuren, zerschlagenes
Geschirr und umgeworfene Möbel. Mein Blick wanderte sofort zu der Wand, an der
das Bild hing, hinter dem sich Mihailovics Safe befand. Es hing an seinem
Platz, unverrückt. Ich holte tief Luft und schob es beiseite, nicht ohne vorher
meine Hand wieder gut verpackt zu haben. Der Safe stand offen. Er war so tief
in die Wand eingelassen, dass auch bei vorgeschobenem Bild die Tür nicht ins
Schloss gepresst wurde. Ich öffnete vorsichtig die kleine Stahltüre und fand
die beiden Fächer leergeräumt. Vollständig leergeräumt. Rein gar nichts war
mehr übrig. Ich fluchte laut und um ein Haar hätte ich es Rumpelstilzchen
gleichgetan, mir ein Bein ausgerissen und mich mit ihm in den Erdboden
gehämmert. Aber ich nahm mich zusammen und suchte Frau Mihailovic. Im Wohnzimmer
fand sich keine Spur von ihr, auch nicht im anschließenden Schlafzimmer. Ich
ging zurück in die Küche und von dort in das Badezimmer. Die weiße Holztür mit
den beiden eingelassenen Milchglasscheiben war blutverschmiert. Ich trat ein
und sah die Frau, die gestern noch eine werdende Mutter gewesen war, als
leblosen Fleischhaufen auf den blau-weißen Fliesen liegen. Überall fanden sich
Blutspritzer. Auf den gefliesten Wänden ebenso wie auf dem Boden und auf den
Spiegeln des Aliberts.
Sie selbst war grässlich zugerichtet. Ein Auge war zugeschwollen
und ihr Nasenbein gebrochen, weil offenbar irgendjemand nicht genug daran
gehabt hatte, sie nur zu töten. Anscheinend hatte der Täter ihr mit dem Lauf
seiner Waffe brutal ins Gesicht geschlagen. Ihr Brustkorb wies zwei
Einschusslöcher auf, das geblümte Kleid
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