Papilio Mariposa
entschloß ich mich zur Reise. Frierend,
übernächtig hüllte ich mich in die Decke und
suchte Schlaf. Aber das Rütteln des Wagens und das
Pochen der Sorgen ließen mich nicht Ruhe finden. In
trübem Sinnen blickte ich hinaus auf die müde, graue
Landschaft, auf die windgepeitschten Bäume, indes der
Regen an die Scheiben schlug.
Was war’s mit der geflügelten Erscheinung heute
nacht?
Immer wieder umkreiste sie mein Denken, und
wenn ich die Augen ruhesuchend schloß, so stand’s vor
mir: im weißen Lichte des Mondes die weiße Marmorstatue,
schwebend, beschwingt mit weißen Fittichen.
Lieblich und doch grauenvoll. —
Professor Möller erwartete mich ungeduldig. Verstört,
mit offenen Armen kam er mir entgegen. »Doktor,
Gott sei Dank, daß Sie da sind. Ich habe sie wiedergefunden«
— damit meinte er seine Enkelin —,
»aber in welchem Zustand . . .«
Ich bat ihn, zu erzählen, doch er wehrte ab. »Nein,
jetzt noch nicht. Bald genug werden Sie es sehen. Ich
will Sie durch meine Erzählung nicht beeinflussen;
denn ich muß mich wieder einmal überzeugen, ob ich
nicht an Halluzinationen leide. Mit Einbruch der
Nacht, gegen neun Uhr, werden Sie alles sehen.«
Bis dahin waren noch drei Stunden. Ich schlug vor,
unterdessen die Villa Mariposa zu durchsuchen, da ich
sie bei meinen früheren Besuchen nur ungenau besichtigt
hatte.
Dem gütigen alten Herrn mochte mein bedrücktes
Wesen auffallen; denn er fragte mich, was mir denn
Böses zugestoßen sei.
Ich erzählte ihm mein gestriges Erlebnis, von der Erscheinung
des Phantoms — ein Menschenfalter, nicht
bloß ein Riesenfalter — und von Désirées Flucht. Er
hörte mir gespannt zu, schien aber keineswegs erstaunt.
Als ich zu Ende war, murmelte er: »Noch eine Besessene
mehr!«
So bekümmert er auch war, er konnte es kaum erwarten,
die Schmetterlingsvivarien Mariposas kennenzulernen.Ich führte ihn hin; während ich selbst mich
in die Wohn- und Arbeitsgemächer begab.
Diese Räume durchsuchte ich auf das sorgsamste,
wobei mir die Pächtersleute halfen — ohne übertriebene
Bereitwilligkeit, aber auch ohne Widerstreben.
Ich durchwühlte jede Lade, ob ich nicht ein Schriftstück
oder sonst etwas fände, das Aufklärung bringen
könnte; ich suchte den Fußboden ab, ob er nicht
irgendwo eine Versenkung bedecke, ich klopfte die
Mauern ab, hob die Bilder von den Wänden, ob sich
dahinter ein Geheimfach verberge.
Irgendwie war Rolf hinzugekommen. Nach kurzer
stürmischer Begrüßung merkte das kluge Tier sogleich,
was ich trieb, und half in seiner Weise redlich mit. Ich
beobachtete ihn aufmerksam, damit mir sein Verhalten
zur Führung diene. Aber er zeigte keinerlei besondere
Erregung.
So waren wir bis ins Laboratorium gekommen, ohne
daß ich etwas Nennenswertes gefunden hätte. Plötzlich
begann der Hund zu bellen. Nun hieß es achtgeben,
hier mußte etwas los sein.
Die Wand, welche der Hund verbellte, war fast zur
Gänze von einem Regal verkleidet, auf dem eine
Menge Flaschen, Phiolen, Eprouvetten, Instrumente
und dergleichen standen. Ich räumte alles heraus und
hielt es dem Hunde hin. Er beschnupperte es gleichgültig
und bellte weiter. Meine Frage, ob nicht hinter
dieser Wand ein anderer Raum verborgen sei, verneinten
die Leute auf das entschiedenste. Aber der Hund
gab noch immer Laut.
Nun suchte ich mit einer Taschenbatterie die Innenwände
des Regales ab, und da fand ich zwei Scharniere.
Ich ließ sie spielen, sie gaben nach. Das Regalund mit ihm die ganze Zimmerwand drehten sich um
eine Angel, und eine Türöffnung wurde frei; Die Pächtersleute
— ich hatte sie nicht aus den Augen gelassen
— waren nicht weniger erstaunt als ich.
Durch diese bisher unsichtbare Türe gelangten wir
in einen kleineren Raum. Er war fast ganz angefüllt, so
daß man sich darin kaum bewegen konnte. In der
Mitte stand ein Bett, das den größten Teil des Zimmerchens
einnahm, eine ganz absonderlich gebaute Liegestatt.
Alles andere war rings um das Bett gruppiert, so
daß es von hier aus leicht zur Hand war. Da lagen Bücher,
wissenschaftliche und belletristische — eines war
sogar noch aufgeschlagen. Auf einem Portativ standen
Porzellantiegel, wie man sie in Apotheken sieht. Dann
war da eine ganze Reihe komplizierter Apparate, unter
denen ich ein Sauerstoffgebläse erkannte, und ein großer
elektrischer Ofen. Er mußte in dem verhältnismäßig
kleinen Raume eine wahre Treibhauswärme erzeugen,
jetzt war es freilich kühl, denn das Fenster — es
war hoch über dem
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