Papilio Mariposa
zu löschen: denn aus
dem hellen Zimmer konnte man nicht in das Dunkel
schauen.
Nun standen wir beide am Fenster und blickten hinaus.
Das Unwetter war verzogen, es war eine milde
schöne Frühlingsnacht. Aus dem schwarzen Himmel
leuchteten die Sterne in kaltem klarem Glanze. Dunkellagerten die sanften Hänge des Wienerwaldes, im Dunkel
lag der Garten. Ringsum war es stille.
Schweigen war auch zwischen uns, und eine trübe
Ahnung überkam mich, als träte nun das Unbekannte
feindlich zwischen Désirée und mich. Ich dürstete
nach einem guten Worte, und zaghaft bittend faßte ich
nach ihrer Hand. Doch sie entzog sie mir, und mit
einem halberstickten Rufe des Entsetzens, des Entzückens
wies sie hinaus. Hinaus auf die Wipfel der Lärchen,
die unter einem Windhauche erschauernd im
Lichte des Mondes schimmerten.
Da, von einem Wipfel, hundert Schritt von uns, da
löst sich etwas los. Erst scheint’s wie eine weiße Flagge,
die hochgezogen wird. Aber nein, jetzt tritt es aus dem
Schatten in das volle Licht des Mondes, jetzt sehe ich
es deutlich. Es fliegt, Schwingen hat es, mächtige Flügel,
Schmetterlingsflügel.
Ein riesenhafter Schmetterling, ein Schmetterling
von der Größe eines Menschen und mit Schwingen
von der Spannweite eines Kondors. Silberweiß sind
sie und leuchten herrlich im Mondlicht. Wenn er sich
im Fluge wendet, sieht man die untere Flügeldecke:
wie Perlmutter schillert sie in allen Regenbogenfarben.
Hoch, turmhoch schwingt er sich empor mit ein
paar mächtigen Flügelschlägen und kreist ruhig in den
Lüften, immer über dem Garten, als ob er hier nach etwas
spähe.
Jetzt läßt er sich im Gleitflug nieder; jetzt kann ich
seinen Rumpf erkennen. Trügen mich meine Augen,
trübt mir der Schreck den Blick? Nein; es mag ein
Wunder sein, doch eine Sinnestäuschung ist es nicht:
Zwischen den Schmetterlingsflügeln ruht der Körpereines Menschen, statuenhaft schön, wie aus Marmor
gemeißelt und wie Marmor so weiß. Nur das Haupt ist
in den sausenden Wendungen des Fluges nicht deutlich
wahrzunehmen. Pfeilschnell schießt er nieder, gerade
auf uns zu. Nun kann ich seine Augen sehen, wie
sie im Dunkel flammend leuchten. Vogelaugen, Raubtieraugen,
Zyklopenaugen . . . Nein, das ist mehr, als
eines Menschen Blick ertragen kann . . . Itzapalotl, der
böse Schmetterlingsgeist . . .!
Halb besinnungslos reiße ich die Rolläden nieder,
wanke zum Schalter und mache Licht. Der Diener
kommt hereingestürzt, schreckensbleich, und fragt, ob
ich gerufen habe. Wortlos, atemlos deute ich nach dem
Fenster, dessen Laden unter den dumpfen Schlägen
des Riesenfalters erdröhnen.
Der Diener will zum Fenster. Aber Désirée tritt ihm
in den Weg und sagt gemessen abweisend: »Es ist
nichts, Sie können gehen. Wir haben Sie ja nicht gerufen.«
Kopfschüttelnd geht der Diener ab.
Auch Désirée verläßt das Zimmer. Vor der Tür sieht
sie sich noch einmal um, nach dem Fenster. Ich fange
ihren Blick auf. Aus diesem Blicke spricht nicht
Schrecken, eher Entzückung, ja Verzückung. Wie bei
den Frauen jenes sonderbaren Trupps.
Mir war’s nicht unlieb, daß sie mich allein ließ. Ich
schämte mich vor ihr, weil sie mich zittern sah. Freilich,
den wollte ich sehen, der vor solch ungeheuerlichem
Anblick nicht erzittert! —
Nun konnte ich mich sammeln. Die Schläge von
draußen waren nicht mehr zu hören. Vorsichtig schlich
ich zum Fenster, öffnete die Laden und lugte hinaus.
Nichts. Stille, klare Nacht. Es war verschwunden, wie
ein Spuk, wie nie gewesen.
Aber Désirée kam nicht zurück. Ich wurde unruhig
und ging hinaus ins Vorhaus, um nach ihr zu sehen.
Der Kleiderstock war leer, ihr Hut und Mantel waren
fort. Ich rief sie, suchte sie im ganzen Hause, im Garten,
weckte die Dienerschaft, die suchen half. Ich
stürzte zum Gartentor, spähte auf die Straße. Vergeblich.
Wie Zentnerlast drückte es mich nieder. Aufstöhnend
preßte ich die Hände vors Gesicht und
schluchzte: »Das also ist die Krönung meines Lebens . . .!
Auf diesen Abend habe ich mich wie ein
Kind gefreut. . . Ach, man darf sich auf nichts
freuen . . .«
S ogleich am nächsten Morgen
war ich in Désirées Wohnung. Sie war nicht zu
Hause, war seit gestern abend nicht nach Hause gekommen.
Was hatte diese Flucht zu bedeuten? Wen floh sie?
Zu wem?
Ich konnte die Nachforschungen nicht fortsetzen.
Denn von Professor Möller langte ein Telegramm ein,
worin er mich bat, sofort auf Mariposas Gut zu kommen,
er erwarte mich dort.
Nur widerwillig
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