Papilio Mariposa
Entomologen
als auch die Botaniker bisher vergeblich zu
beantworten suchten. Es ist dies die alte Streitfrage:
Wie entstehen die Cecidien, jene gallenartigen Gebilde?
Werden sie von den Pflanzen erzeugt, gleichsam
aus Gefälligkeit für die Insekten, oder rufen die Insekten
sie hervor, indem sie gewisse unbekannte Säfte in
das Pflanzeninnere ergießen?
Nun ist es klargeworden: Das letztere ist richtig.
Denn wenn die Pflanze die Erzeugerin der Gallen
wäre, dann müßte man schon längst so große Auswüchse
wie diesen hier beobachtet haben. Daß aber ein
solch riesenhafter Auswuchs von einem der bisher bekannten
Insekten stammen könnte, ist unmöglich. Es
wäre denn, daß Myriaden von Insekten bei der Erzeugungdieses gigantischen Cecidiums zusammenwirkten
— was bisher gleichfalls noch nie beobachtet wurde.
Bleibt nur die Möglichkeit, daß es ein Riesenkerf war,
der diesen Riesenauswuchs hervorrief.«
Solch einen Riesen gibt es — jetzt. Wir kennen ihn.
»Merkwürdig« — er murmelte es vor sich hin — »fast
scheint’s, als ob er auch noch jetzt vom Experimentieren
und Probieren nicht lassen könnte.«
U nterdessen gelangten wir
immer tiefer in den Wald. Der Weg war recht beschwerlich.
Durch das Dickicht der hohen Stämme
drang kaum ein Strahl des Mondes, Astwerk schlug
uns ins Gesicht, Wurzeln versperrten den Weg.
Endlich wurde es heller, mattes Licht schimmerte
durch die Zweige. Vor uns lag eine Waldlichtung. Professor
Möller blieb stehen und machte mir ein Zeichen,
mich stille zu verhalten. Der Mond war hinter
weißlichem Gewölk verschwunden, so daß ein ungewisser,
silbern matter Schein alles erfüllte. Wie ein Elfenreich,
wie eine Mythenlandschaft.
Und was ich nun sah, war mythisch, elfenhaft,
schien unwirklich, unmöglich.
Der Frauentrupp der Flüchtigen war hier versammelt.
Sie waren nackt. Unter den Bäumen lagen ihre
Kleider, sie selber tanzten nackt umher. Tanzten einen
bacchantisch wilden Reigen, die glühenden, verzückten
Blicke aufwärts gerichtet.
In ihrer Mitte, über ihren Häuptern schwebte silbern
leuchtend der Riesenfalter. Bald schwang er sichempor mit sausend raschem Flügelschlage, bald senkte
er sich kosend nieder, erkor eine Gefährtin seiner Lust,
umschwirrte sie in tändelnd nimmermüdem Liebesspiele.
Bebend faßte der Professor meinen Arm und wies
auf ein schönes Mädchen, das seine schlanken Glieder,
seine straffen Brüste darbot unter Jubelrufen.
»Das ist sie«, stöhnte er. »So muß ich sie sehen. Sie,
die bisher die Reinheit selber war!«
Halb unwillig wehrte ich ab und lauschte, spähte
weiter in atemlosem Staunen und Entzücken. Wie war
das traumhaft schön, sinnverwirrend lockend, märchenhold
verführerisch. Vor meinen Augen wurde die
graue Vorzeit wiederum lebendig. Kyprischer Kult —
ein Bacchusfest — Astartetänze. Freudetrunken opfern
schöne Frauen einem Liebesgott.
» W üst wie eine Blockbergszene«,
hörte ich meinen Begleiter und wachte auf aus
meinem Taumel. »Kommen Sie, Herr Doktor, es ist
höchste Zeit. Wenn die uns bemerken, so ist’s um uns
geschehen. Das sind ja rasende Mänaden.« Und zog
mich mit sich fort.
Ich wurde wieder nüchtern, und sogleich meldete
sich der gute Bürger, der Jurist zu Wort. »Sehr schön«,
sagte ich, »als Traum, als Schauspiel. Aber im Rahmen
unserer Gesellschaftsordnung und vor dem Forum unserer
Gesetze, was ist es? Grober Unfug, Verletzung
der öffentlichen Sittlichkeit.«
»Ja, das ist es, und deshalb habe ich Sie gebetenhierherzukommen. Wir dürfen hier nicht länger untätig
zuschauen. Wir müssen alles daransetzen, um diese
Verirrten, diese Irren ihrer Familie, der bürgerlichen
Ordnung wiederzugeben. Das ist unsere soziale Pflicht,
aber auch unser eigenstes persönliches Interesse. Nicht
nur das meine — wegen meines Enkelkindes —, auch
das Ihre, wegen Ihrer Freundin. Denn ich bin überzeugt,
daß sie demnächst hier in diesem Kreis zu finden
sein wird.«
Ich horchte auf. »Wie kommen Sie zu dieser Vermutung?
Sie scheinen sich also schon eine ganz bestimmte
Ansicht über diese Schmetterlingsanbetung gebildet zu
haben. Wollen Sie mir sie nicht mitteilen?«
»Es ist noch keine bestimmte Ansicht, es sind bloße
Vermutungen.
Ich mußte mich vor allem fragen, wieso es kommt,
daß all diese Frauen, von denen keine die andre kennt,
die in verschiedenen Gegenden wohnen, ohne vorherige
Verständigung gerade hier zusammentrafen. Sicher
scheint zu sein, daß hier das Nest, oder wie ich es
sonst nennen
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