Papilio Mariposa
Fußboden — stand offen. Nun erinnerte
ich mich: das war der offene Fensterflügel, der
mir bei meinem früheren Besuche aufgefallen war.
Worauf sich Rolf sogleich mit freudigem Gewinsel
stürzte, das war ein Bündel Kleider und Wäsche, die
auf dem Bettvorleger herumlagen: achtlos hingeworfen
wie Kleidungsstücke, deren man sich vor dem Schlafengehen
entledigt. Die Pächtersfrau erklärte bestürzt,
dies sei der Anzug, den Mariposa zuletzt trug, ehe er
verschwand.
Mit dem Raume da mußte es seine besondere Bewandtnis
haben. Vielleicht konnte Professor Möller
hier etwas finden, das Aufschluß brachte. Ich ging ihn
holen.
Er stand da vor einem der Glaskasten, die Hände
auf dem Rücken gekreuzt, regungslos, mit hochgeröteten
Wangen. So sehr vertieft war er in den Anblick,
daß er mich gar nicht kommen hörte.
»Menschenskind«, brach er los, »Sie durften dieses
Heiligtum betreten? Das heiße ich doch wirklich Perlen
vor die . . .« Er besann sich und vollendete den Satz
nicht. »Ja, haben Sie denn eine Ahnung, was da hier an
Fleiß, an Gelehrsamkeit und genialem Scharfsinn aufgespeichert
ist? Ich habe bisher geglaubt, daß ich von
Entomologie etwas verstehe. Aber hier komme ich mir
vor wie ein Abc-Schütze. Nein, da kann man nur
schweigen und bewundern. Und so etwas hat der
Mensch vor der gelehrten Welt geheimgehalten. Unfaßbar!«
Er konnte sich kaum trennen von dem Anblick. Mit
schwerer Mühe bewog ich ihn, mir in das neuentdeckte
Zimmer zu folgen. Hier erklärte er mir die unbekannten
Apparate: Der eine mißt Sauerstoffverbrauch und
Kohlensäurebildung, also die Atmung lebender Gewebeteilchen,
nicht größer als ein Stecknadelkopf. Ein
anderer kinematographiert Wachstum, Teilung, Wanderung
und Sterben der Zelle. Ein dritter dient der
Messung ihres Wachstums. Dann das »Mikrotom«, das
Gewebestücke von Hirsekorngröße in mehrere hundert
Schnitte teilt.
Er prüfte eingehend den Inhalt der Tiegel, schüttelte
den Kopf und schien ratlos.
Schon wollten wir den Raum verlassen, da sprang
Rolf auf das Bett, durchwühlte die Laken und zog etwas
hervor, das aussah wie ein Sack, ein Polsterüberzug.
Professor Möller, schon im Gehen, griff nach dem
Ding und sah es an. Dann blieb er stehen, sichtlich betroffen,rieb die Augengläser, wurde hochrot im Gesicht,
roch, riß, probierte an dem Ding herum, trat
dicht an mich heran, daß ihn die Bauersleute nicht verstehen
konnten und flüsterte mir zu, die Stimme zitternd
vor Erregung: »Wissen Sie, was das hier ist? Ein
Puppengespinst, ein Kokon. Natürlich nicht von einem
gewöhnlichen Falter, nein, von einem Riesenschmetterling.
Jetzt wird die ganze Einrichtung verständlich. Da
der große Ofen, um während der Verpuppungszeit das
Zimmer entsprechend temperiert zu erhalten, und hier
der Oxygenapparat, um den erforderlichen Sauerstoff
zuzuführen.
Sie müssen nämlich wissen, daß Wärme und Sauerstoffzufuhr
die Entwicklung der Puppe zum Schmetterling
günstig beeinflussen.
Da, in diesem Bett hat er sich verpuppt, und oben
das offene Fenster, das ist das Flugloch. Erkennen Sie
jetzt die Zusammenhänge . . .?«
H astig verzehrten wir das
Abendbrot. Nun war es Zeit zu gehen. Sturm und Regen
hatten sich verzogen, es war eine helle, milde
Mondnacht. Wortlos schritten wir nebeneinander her,
jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Der Professor
blickte immer wieder empor zu den Wipfeln der
Bäume.
Plötzlich blieb er stehen, faßte mich am Arme und
deutete auf eine Eiche. An dem Baume war ein riesiger
grünlicher Auswuchs zu sehen; etwa wie ein Gallapfel,nur ungeheuer groß, so groß wie ein Luftballon. Wortlos
starrte der Professor hin und war nicht von der
Stelle zu bewegen.
»Weiter, weiter, Herr Professor. Diesmal begreife
ich Ihre Erregung wirklich nicht. Es ist ja wahr, das
Ding ist unheimlich groß. Aber was ist weiter dran?
Irgendein Auswuchs, ein Riesengallapfel. Schicken Sie
ihn der Gartenbaugesellschaft, die wird sich darüber
freuen.«
»Oh, Sie Kind, Sie begreifen meine Erregung wirklich
nicht? Wären Sie vielleicht nicht erregt, wenn Sie
da plötzlich einen Marienkäfer von der Größe einer
Kuh oder ein Maiglöckchen so hoch wie eine Pappel
vor sich sehen würden? Und doch wäre es kein größeres
Wunder als dieses hier, vor unseren Augen.
Aber es ist nicht nur das. Sehen Sie, Sie haben ganz
richtig vermutet; es ist wirklich ein Riesengallapfel.
Nun, durch die Existenz dieses Riesengallapfels erscheint
eine Frage entschieden, welche sowohl die
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