Papilio Mariposa
soll, des Riesenfalters ist. Was hat also
diese Frauen hierhergeführt?
Wir haben zwei Einzelfälle, welche uns Beobachtungsmaterial
liefern und aus denen wir auf alle übrigen
schließen können: meine Enkelin und Ihre Freundin.
In beiden Fällen ist eine persönliche Begegnung
mit dem Falter vorausgegangen, beide haben ihn gesehen.
Welche Kraft hat sie dann hierhergetrieben, ihm
nach?
Es ist jedenfalls irgendeine Anziehungskraft, die von
dem Falter ausgeht. Welche?
Dafür gibt es zwei Erklärungen, die beide nebeneinander
bestehen könnten.
Die eine ist: Willenseinwirkung, also sagen wir Hypnose.
Der Falter hat ihnen, als er sie sah, den hypnotischen
Befehl erteilt, ihm hierher zu folgen. Einer solchen
Willensübertragung scheint dieses Wesen wohl
fähig zu sein. Diese Erklärung ist sozusagen menschlich,
anthropomorph, das heißt, sie geht aus von einer
menschenähnlichen Artung dieses Wesens.
Und nun die zweite. Sie ist, wenn ich es so nennen
darf, tierhaft. Sie wird Ihnen vielleicht, phantastisch erscheinen,
mir sagt sie womöglich mehr zu als die erste.
Da muß ich zum besseren Verständnis etwas vorausschicken,
was zu den interessantesten Kapiteln der
Schmetterlingsbiologie gehört. Es steht fest, daß bei
den Schmetterlingen der Reiz, welchen die Geschlechter
aufeinander ausüben und der sie zur Paarung
treibt, in Sinneseinwirkungen besteht. Nicht nur auf
den Gesichtssinn — daher die schönen Farben der
männlichen Falter —, sondern in noch weit höherem
Maße auf die anderen Sinne.
Die Wissenschaft spricht von Duftwirkungen, sie
nimmt an, daß jedes Tier ein förmliches ›Duftfeld‹ erzeuge,
welches die andersgeschlechtlichen Tiere in seinen
Liebesbann zwingt. Tatsache ist, daß von manchen
Schmetterlingsarten Düfte ausströmen, die sogar wir
Menschen mit unseren unermeßlich gröberen Geruchsorganen
wahrnehmen können. Wie mögen diese
Düfte erst auf die kleinen Tierchen wirken, deren
Sinne wahrscheinlich in demselben Maße feiner, wie
sie selbst kleiner sind als wir Menschen?
Über welch riesige Entfernungen diese Düfte auf
Schmetterlinge wirken, geht aus folgendem Experiment
hervor. In einer Gegend, wo eine bestimmte
Schmetterlingsgattung besonders häufig vorkommt,fing ein Schmetterlingssammler ein einzelnes Exemplar
dieser Gattung, ein Weibchen. Er bestieg dann
den Zug und fuhr nach Hause, mehrere Stunden. Dort
verwahrte er das gefangene Tierchen in einer Schachtel,
die er auf das Fensterbrett stellte. Zu bemerken ist,
daß in der Gegend, wo der Sammler wohnt, die betreffende
Schmetterlingsgattung bestimmt nicht vorkommt.
Mehrere Stunden später war die Schachtel bedeckt
von einer Unzahl männlicher Schmetterlinge jener
Gattung.
Es ist übrigens möglich, sogar wahrscheinlich, daß es
sich hier nicht bloß um Duftwirkungen, sondern um
andere Sinnesreize handelt, die noch nicht erforscht
sind. Sicher ist, daß der Körper des Schmetterlings an
vielen Stellen seiner Oberfläche mit sogenannten Sinnesstiften
und darunter mit Nervenzellen versehen ist,
daß diese Körperstellen also dazu dienen, Sinneseindrücke
aufzunehmen. Welche Sinneseindrücke, das
wissen wir nicht. Wir sprechen hier meistens von
einem sogenannten chemischen Sinn.
Sie werden nun verstehen, worauf ich hinaus will.
Ich meine, daß von dem Riesenschmetterling ähnliche
Wirkungen ausgehen, welche auf die Frauen eine ungeheure
aphrodisische Macht ausüben und sie erotisch in
seinen Bann zwingen. Von welcher Kraft diese Strahlungen
sind, können wir uns natürlich auch nicht annähernd
vorstellen. Sie müssen dämonisch übermächtig
sein, um diese ehrsamen Haustöchter und Mütter
in besessene Mänaden zu verwandeln.«
»Diese Erklärung«, entgegnete ich, »ist sicherlich
geistvoll und überzeugend. Aber was nützt es, wenn wir
die Ursache kennen? Die Wirkung müssen wir beseitigen.
Wir gehen einfach zum nächsten Gendarmeriepostenund lassen die Ausreißerinnen nach Hause schaffen.«
»Und Sie glauben, die werden gutwillig mitgehen?
Man wird für jede einzelne von ihnen zwei Gendarmen
brauchen. Und wenn sie schon mit schwerer Mühe
nach Hause eskortiert sind, dann werden sie aufs neue
durchgehen. Vergessen Sie nicht, daß diese Frauen
psychisch unfrei sind. Und wer wird sie aus dieser Unfreiheit
befreien?«
»Wie also gedenken Sie hier Ordnung zu schaffen?«
»Die Wirkung bekämpft man am besten, indem man
die Ursachen beseitigt. Man wird sich des Riesenfalters
bemächtigen müssen. Schon im Interesse der
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