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Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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gebrütet. Und meine
Rache könnte furchtbar sein, denn ich gebiete über viele
dunkle Kräfte.
    Aber ich will nicht rächen, ich will beglücken. Wie mein uraltes
Volk, von den Menschen ausgestoßen, doch auserwählt
von Gott, der Menschheit den Erlöser und die Evangelien
schenkte, so will ich, der mißgestalte Jude, den Menschen
abermals ein Wunder und Erlösung bringen.
    Zehn Jahre lang, Tag und Nacht, habe ich gesucht, und
nun habe ich’s gefunden. Wollte ich die Resultate meiner Arbeit
schriftlich niederlegen, es würde Bände füllen. Aber ich
will mich kurz fassen und möglichst klar, so daß auch Sie als
Laie mich verstehen werden.
    Jene bisher unbekannten Kräfte der Verwandlung liegen in
den Blutkörperchen der Raupe und in den Säften, welche sie
absondert. Die Säfte, Enzyme, enthalten gewisse Hormone,
und die Hormone im Zusammenwirken mit besonderen Blutkörperchen
— Phagozyten nennt sie die Wissenschaft — sind
die Träger jener verwandelnden Kraft.
    Das Wort ›Hormone‹ ist Ihnen sicherlich bekannt. Es
taucht gerade jetzt in wissenschaftlichen Erörterungen häufig
auf. Sie haben wohl gelesen, daß zum Beispiel die ganze neue
Forschung über die Verjüngung auf der Hormonenlehre aufgebaut
ist. Wie sich die moderne Chemie auf Umwegen der alten
Alchymie nähert, so kehrt die heutige Physiologie wieder zurück
zur altehrwürdigen Lehre von den humores, den Säften.
Daß das Temperament des Menschen bedingt ist durch die
Artung seiner Säfte, diese alte Weisheit wird jetzt neu erkannt.
    Nun, auch mit diesem Problem befaßte ich mich eingehend,
und ich stellte unter anderm fest: Gleichwie die Milchdrüsenhormone
des Menschen und der andern Säugetiere, die Prolaktine,
einander ähneln und, dem Organismus einverleibt,
die Gefühle besorgter Mütterlichkeit erwecken, so weisen die
Hormone der Raupe, wenn sie sich einspinnt, eine merkwürdige
Ähnlichkeit auf mit jenen Säften, die in uns Menschen
die Stimmung sehnsüchtiger Erwartung hervorrufen.
    Also ich erforschte die Hormone und die Blutkörperchen der
Raupe, und es gelang mir endlich, jene geheimnisvoll verwandelnde
Kraft in ihnen gleichsam zu isolieren. Nun versuchte
ich, diese Substanz dem Organismus anderer Lebewesen anzupassen.
Schritt für Schritt, behutsam tastend drang ich vor ins
Unbekannte. Und manchen Schritt, den ich auf diesem weiten,
mühevollen Wege machte, kennen Sie, kennt die ganze
Welt. Ich meine den Flügelsalamander und den Pseudolöwen
von San Marco.
    Und doch waren dies bloß tändelnde Experimente, gleichsam
flüchtig hingeworfene Skizzen zu dem großen Gemälde,
das ich plante. Ich hätte noch mit ganz anderen Überraschungen
aufwarten können, spielerisch und schreckhaft. Aber es hat
mir nicht beliebt. Noch lauter wäre das Geschrei geworden,
man hätte mich vielleicht entdeckt, gestört.
    Gerne hätte ich, ehe ich das große Wagnis unternehme,
meine Wissenschaft am Menschen selbst erprobt. Aber Mitgefühl
und Furcht vor der Verantwortung halten mich ab.
    Nun bin ich mit den Vorbereitungen zu Ende und kann die
große Fahrt beginnen. Wohin wird sie mich führen? Werde
ich das Ziel erreichen, das mir meine sorglichen Berechnungen
verheißen? Wird es eine Auferstehung zu Freude, Licht und
Schönheit? Werde ich ein Halbgott, ein fittichrauschender
Cherub, bewundert von den Menschen und sehnsüchtig geliebt
wie die Erfüllung lang gehegter Träume? Dann will ichgerne das Geheimnis meiner Forschungen verraten und will
der Menschheit Freude bringen wie noch nie ein Mensch zuvor.
    Aber ich weiß es, allzu weit seitab von der gebahnten
Straße der erprobten Wissenschaft und der Erfahrung liegt
der Weg, den ich beschreite. Er führt ins Ungewisse. Er kann
zum Tode führen oder in eine schaudervolle Wildnis, weit
schrecklicher, als unsre Furcht sie ahnen mag.
    Zwei Möglichkeiten des Mißlingens gibt es. Die eine: daß
mein Körper die durchgreifende Einwirkung des fremden
Stoffes nicht erträgt, daß er jener ungeheueren Verwandlung
nicht standhält. Dann sterbe ich als Opfer der Wissenschaft
und meines eigenen vermessenen Wunsches. Das wäre kein
sonderliches Unglück, kein allzu hoher Einsatz fürs Gelingen.
    Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit: daß sich in
meine Rechnungen ein verhängnisvoller Fehler einschlich und
ich zu irgendeinem Halbtier werde, zu einem Unhold, den
Menschen ein Schrecknis und mir selbst zur Qual.
    Ich weiß ja nicht einmal, ob ich das Bewußtsein meines Ichs
bewahre. Fühlt sich der Falter mit der

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