Papilio Mariposa
Leben
schmückt, sind mir verwehrt. Stundenlang umkreise
ich des Nachts die Behausungen der Menschen, um
ihre Sprache und Musik zu hören — wie eine verlorene
Seele. Ich lebe wie ein Nachttier, wie ein Wolf, wie eine
Eule. Auf Baumwipfel muß ich mich verkriechen oder
auf die Felsen einsamer Berge. Muß mir von meinem
eigenen Gehöft die Nahrung stehlen wie ein Marder.
Selbst die Tiere fliehen mich oder machen Jagd nach
mir. Unlängst haben mich zwei Lämmergeier stundenlang
verfolgt; doch mein Flug war schneller.
Wie furchtbar rächt sich an mir selbst mein hochmütiges
Unterfangen. Ich habe nach Übermenschlichem
gestrebt, darum muß ich Unmenschliches erleiden.
Zu den Menschen, wie finde ich wieder zu den Menschen . . .!«
I ch erwachte unter einem
Blicke. Nicht flammende Raubtieraugen, freundliche
Augensterne eines Menschenangesichtes.
Ich sah hinaus zum Fenster. Sonnenschein flutete
herein, und draußen waren Pinien, Zypressen.
Ich blickte um mich, blickte an mir nieder. Ich lag
zu Bette. Inmitten anderer, Bett an Bett. Ein Schlafsaal?
Nein, ein Krankensaal.
Ich schloß die Augen, ermattet und verstört. Und
ich sann nach: Also war ich krank, war ohnmächtig geworden.
Und doch, soweit ich’s weiß, tat er mir nichts
zuleide. Was war also die Ursache der Ohnmacht? Die
Furcht, das Mitleid? Oder sein hypnotischer Befehl,
sein Blick? Wo bin ich jetzt?
Ja, wo bin ich denn? Man antwortete italienisch: in
Venedig, im städtischen Spital. Ich war im Zuge bewußtlos
aufgefunden worden. Alle Versuche, mich zu
erwecken, blieben vergeblich, darum brachte man
mich hierher. Anfänglich vermutete man ein Verbrechen,
doch mein Gepäck und meine Wertsachen waren
scheinbar vollzählig.
Die Ärzte fragten mich allerlei, um die Ursache dieser
sonderbaren langdauernden Bewußtlosigkeit zu ergründen.
Die Wahrheit durfte ich nicht sagen, drum
gab ich halb beruhigende, halb ausweichende Antwort.
Wie lange hatte ich denn bewußtlos gelegen? Mindestens
26 Stunden, war der Bescheid. Auf dem Wandkalender
las ich das Datum, und plötzlich fuhr mir’s
durch den Kopf: Heute um zwölf Uhr ist ja die Verhandlung
vor dem Schiedsgericht. Und die Uhr wies
auf acht. Mit schwerer Mühe erwirkte ich meine sofortige
Entlassung und charterte ein Flugzeug nach Rom.
Und das schwerste war die Verhandlung. Nachher
war ich derart erschöpft, daß ich mich zu Bette legte
und volle zwölf Stunden schlief.
Ich mußte noch zwei Tage in Rom bleiben, denn ich
war unfähig, die Rückreise anzutreten. Lag auf dem
Balkon, schlief oder starrte vor mich hin. Es war ein
Zustand tiefster Benommenheit, in dem ich mich befand:
die Loslösung aus der Hypnose, die Angst um
Désirée, die Kümmernis um Mariposa.
Wer konnte an solch ungeheuerlichem Schicksal
achtlos vorübergehen? Wer durfte sich diesem Hilferuf
versagen? Trotz meiner eigenen Hilfsbedürftigkeit erwog
ich die abenteuerlichsten Pläne, um ihm zu helfen,
ihm trotz seiner jetzigen Gestalt ein menschenwürdiges
Dasein zu retten.
Zum Schlusse kam natürlich der Jurist zum Wort.
Wie lag denn eigentlich der Sachverhalt juristisch? Da
ist ein Bankkonto, ein Grundstück, kurz — ein gewaltiges
Vermögen, das gehört einem Herrn Papilio Mariposa.
Gehörte ihm. Herr Mariposa hat für den Fall seines
Todes letztwillige Verfügungen getroffen, hat mir
ein Legat hinterlassen und mich zum Testamentsvollstrecker
bestimmt. Ist dieses Testament jetzt in Wirksamkeit
getreten? Ist Herr Papilio Mariposa, soweit es
die Rechtsordnung betrifft, gestorben, oder lebt er
noch? Wenn er gestorben ist, dann erhalte ich mein
Legat und muß für die Verteilung des übrigen Vermögens
im Sinne seines letzten Wunsches sorgen. Und
was geschieht dann mit dem Schmetterlingsmenschen,
wer sorgt für den?
Wenn Mariposa, juristisch gesprochen, auch weiter
lebt, so ist er jedenfalls unfähig, seine Geschäfte selber
zu besorgen. Es muß also im Sinne des Gesetzes fürihn ein Kurator bestellt werden, und der ist an die
Weisungen des Gerichts gebunden.
Die gerichtliche Entscheidung wird davon abhängen,
ob Mariposa als menschliches Wesen anzusehen
ist oder nicht. Und diese Frage wird von ärztlichen
Sachverständigen zu lösen sein. Es wird sich also die
skurrile Notwendigkeit ergeben, den Schmetterlingsmenschen
gerichtsärztlich zu untersuchen, um gerichtsordnungsmäßig
festzustellen, ob dieses Fabelwesen
Mensch ist oder Tier, jedenfalls darf ich nichts unternehmen,
ohne zuvor die Entscheidung des Gerichts
einzuholen.
N och
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