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Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Wissenschaft.«
    »Das möchte ich nicht« — ich machte eine bestürzt
abwehrende Geste —, »jetzt noch nicht. Erst wenn alle
anderen Mittel versagen.« —
    Ich mußte eilends aufbrechen; denn ich hatte am
nächsten Morgen dringend in Wien zu tun, und es war
schon nach Mitternacht.
    Zu einem positiven Entschluß gelangten wir nicht.
Nur darüber waren wir uns einig, die Hilfe der Behörden
einstweilen nicht anzurufen. Denn damit würden
wir ungeheures Aufsehen erregen und uns die weitere
Entscheidung entwinden.
    Da der Professor die bestimmte Vermutung aussprach,
Désirée werde demnächst hier erscheinen, gab
ich ihm ihre Personenbeschreibung und bat ihn, er
möge sie anhalten und ihre sofortige Rückreise in Begleitung
meines Chauffeurs veranlassen. Den Chauffeur,
der Désirée selbstverständlich kannte, ließ ich zurück
und gab ihm die entsprechenden Anweisungen.

    N ach Wien zurückgekehrt,
fragte ich sogleich nach Désirée. Sie blieb verschwunden.
    Unter der eingelangten Post war ein Brief aus Graz.
Ein dortiger Notar teilte mir mit, ein Herr namens Papilio
Mariposa hätte ihm ein versiegeltes Schriftstück
mit dem Auftrag übergeben, es mir nach Ablauf eines
Jahres mit unverletztem Siegel einzusenden. Diesem
Auftrage entspreche er nunmehr, indem er mir das
hinterlegte Schriftstück mit der Bitte um Empfangsbestätigung
zustelle.
    Ich lasse den Inhalt dieses denkwürdigen Dokumentes
wörtlich folgen.
     
    »Lieber Freund!
    Als ich von Ihnen Abschied nahm, sagte ich, daß ich eine Forschungsreise
unternehmen würde. Das ist wahr und auch nicht
wahr, ja, ich werde eine Reise tun, wie sie noch nie zuvor ein
Mensch gewagt hat. Eine Reise, von der ich vielleicht gar nicht,
sicherlich als ein anderer heimkehre, denn ich auszog. Und
doch werde ich keinen Schritt vors Haus tun. Also hören Sie.
    Sie wissen, mit welcher Inbrunst, mit welch schwärmerischer
Andacht ich das große Mysterium, die Verwandlung der
Raupe in den Schmetterling, liebe und bewundere. Seit ich
denken kann, fasziniert mich der Gedanke.
    Ich war noch ein Kind, ich entsinne mich ganz deutlich, da
zeigte mir mein Vater an einem schönen Frühlingstage eine
Raupe und erklärte mir, wie sie sich einspinne und zum
Schmetterling werde. Es war nichts weiter als eine armselige
Kohlweißlingraupe, die da an einer halbverfallenen Häuserwand
emporkroch. Doch ich war überwältigt, ich mußte Tag
und Nacht dran denken.
    Damals schon wurde der Entschluß in mir lebendig, jenes
Geheimnis zu ergründen. Und er hat mich seither nicht verlassen,
er wurde zu meinem Lebensplan. Das mag manchem lächerlich
erscheinen. Aber Sie kennen wohl den Ausspruch
Emersons: ›Es ist nichts so unbedeutend und so unscheinbar,
daß ihm nicht eines Tages ein Prophet erstünde.‹ Nun, ich
wollte der Prophet der Schmetterlinge werden.
    Als ich älter wurde, als ich meine Häßlichkeit erkannte, als
ich sah, wie mich die Menschen fliehen und verlachen, da gab
ich mich dem Plane mit um so heißerem Bemühen hin. Nie
hat ein Frauenlächeln mir geleuchtet, und die Freuden heiterer
Gemeinschaft waren mir versagt. Einsam mußte ich bleiben.
Und hatte doch ein Herz voll sehnsüchtiger Güte.
    Die Menschen stießen meine Liebe mit kaltem Hohn zurück,
drum flüchtete ich zur Natur, und die Erforschung ihrer
ewigen Gesetze bot mir Trost. Immer tiefer versenkte ich mich
in jenes urgewaltige Mysterium des Schmetterlings, und schon
hatte ich manches Geheimnis ergründet, das bisher unerforscht
geblieben war.
    Doch damit war mir’s nicht getan. Aus meiner Einsamkeit
und Häßlichkeit, aus meiner ungeheuern Sehnsucht wuchs ein
ungeheurer Wunsch empor: der Raupe ihr Geheimnis abzulauschen,
um es dem Falter gleichzutun!
    Die unbekannten Kräfte, welche die Verwandlung der
Raupe in den Schmetterling bewirken, die wollte ich mir
dienstbar machen. Wie die häßlich erdgebundene Raupe ihr
Gespinst abstreift und sich in den liebesbeglückten, schimmernd
beschwingten Schmetterling verwandelt, so wollte ich
meine Häßlichkeit abstreifen und mich in einen fittichbewehrten
Halbgott wandeln. Den uralten Märchentraum der
Menschheit will ich erfüllen: Fliegen. Was Dädalus und
Wieland der Schmied versuchten, will ich auf meine Art vollbringen.
    Ich habe nie vergessen, man ließ mich’s nie vergessen, daß
ich Jude bin. Und Jude sein, das heißt verachtet und verhaßt
sein. Doppelt verachtet und verlacht war ich, nicht nur ein
Jude, sondern eine Mißgeburt.
    Manch anderer hätte vielleicht Rache

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