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Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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überwunden.
    Mariposas Wissen war erstaunlich trotz seiner jungen
Jahre. Abgesehen von der landläufigen allgemeinen
Bildung war er auf das vollkommenste vertraut mit
der Philosophie der Asiaten und Europas, der Gegenwart
und der entlegensten Vergangenheit. Auch mit
den verschiedenen Geheimlehren schien er sich angelegentlich
zu befassen. Dabei war mir der wesentlichste
Teil seiner Kenntnisse, sein eigentliches Fachwissen,
nämlich die Naturwissenschaften, gar nicht zugänglich.
Denn er hatte es bald gemerkt, daß ich mit ihm höchstens
im philosophisch-historischen Bereiche halbwegsSchritt halten konnte, und er war viel zu taktvoll, um
Wissensgebiete zu berühren, auf die ich ihm nicht folgen
konnte.
    Nicht sein Wissen war es, das mich ihm zum
Freunde machte, auch nicht sosehr seine Herzensgüte,
als vielmehr die zärtliche Liebe, mit der er an mir hing.
Er war ganz einsam, hatte niemand auf der ganzen
Welt, der ihm gut war, ich war der einzige Mensch, der
ihm nahestand. Alle Schätze seines reichen Herzens
verwendete, ja verschwendete er an mich. Es war rührend,
fast beschämend, wie dieser überragende Geist
meine Vorzüge schwärmerisch vergrößerte, wie er
gleich einer zärtlichen Mutter meine Schwächen und
Unzulänglichkeiten übersah, ja wie er sie liebte.
    Für den Seelenforscher war es ein Studium von unerhörtem
Reiz, wie dieser unermeßlich begabte
Mensch, der aber von den anderen abgeschieden war
durch seine Mißgestalt, sich zu der Welt und den Menschen
stellte. Wie einsam er doch war! Einsam wie jedes
Genie; doppelt einsam durch seine Häßlichkeit.

    E ines Nachmittags war
Mariposa wieder einmal in meiner Kanzlei zu Besuche.
    Zuerst war von geschäftlichen Dingen die Rede,
dann von wissenschaftlichen. Wir sprachen von Determinismus
und Indeterminismus, also über die Frage
nach der Freiheit der Selbstbestimmung des Menschen.
    Mariposa schöpfte aus dem vollen. Mit spielerischer
Leichtigkeit entwickelte er eine blendende Fülle vonGedanken, ein wahres Feuerwerk von Geist und Wissen,
das — nur ganz nebenbei — den Gegenstand mit
überraschend neuen naturwissenschaftlichen Argumenten
beleuchtete. Ich wurde nicht müde, ihm zuzuhören.
    Der Diener meldete, daß Désirée gekommen sei. Im
Eifer des Gesprächs hatte ich vergessen, daß ich mit
ihr vereinbart hatte, mich abends abzuholen.
    Ich ließ Désirée bitten einzutreten.
    Nun sahen die beiden einander zum erstenmal: Elfe
und Waldschratt.
    Nie werde ich den Blick vergessen, den sie tauschten.
Was sprach doch alles aus dem Blicke Mariposas:
Freude an der Schöpfung, Freude an der Schönheit,
Bewunderung, Begehren — und schmerzliches Besinnen,
schamvolles Entsagen. In Désirées Augen aber
trat der Ausdruck unverhüllten Abscheus, belustigten
Ekels.
    Mir griff das ans Herz. Ich wollte auffahren, doch
Mariposa trat auf mich zu, legte mir begütigend die
Hand auf den Arm und flüsterte mir mit einer unendlich
zarten Geste sanfter Überlegenheit zu: »Was wollen
Sie denn? Ist’s denn zu verwundern?«
    Ich versuchte, irgendein gleichgültiges Gespräch in
Gang zu bringen. Aber mein Bemühen blieb vergeblich.
Désirée schwieg beharrlich, fast ostentativ. Mariposa
war sichtlich bedrückt. Er, der sich noch vor wenigen
Minuten als glänzender Sprecher erwiesen hatte,
war befangen und brachte mühselig ein paar gequälte
Redensarten hervor. Schließlich machte er der peinlichen
Situation ein Ende, indem er sich verabschiedete.
    An jenem Abende hatte ich zum ersten Male ein
Zerwürfnis mit Désirée. Wir waren kaum allein, als siemit Vorwürfen begann: »Wenn du von Klienten und
Freunden nichts Interessanteres auf Lager hast als
diese Mißgeburt, so verzichte ich auf weitere Bekanntschaften.
Jud, Jud« — sie verfiel in einen jüdischen
Singsang —, »aber ein so mieser Jud! Den kannst du
einem Panoptikum oder Museum vorstellen, aber nicht
mir.«
    »Du hast richtig vermutet, Désirée. Ich habe tatsächlich
nichts Interessanteres auf Lager. Du verwechselst
die Begriffe interessant und elegant. Die interessanten
Menschen sind meist unelegant, und die eleganten
sind nur selten interessant. Ich wußte bisher nicht, daß
für dich nur die Eleganten auch interessant sind.
    Du verstehst es übrigens meisterhaft — wie alle
Frauen —, den Spieß umzudrehen. Meinen Gast brüskierst
du, und statt dich wegen dieser Taktlosigkeit zu
entschuldigen, spielst du die Gekränkte.
    Warum hast du ihn beleidigt? Nur weil er häßlich
ist. Hat er dir etwas zuleide

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