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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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Augen komme, nicht noch imstande ist, mir auf der Stelle eine Zusatzbuße von dreißig Tagen aufzubrummen. Auf jeden Fall aber muß ich, das ist Gesetz, heute, den 26. Juni 1936, die Zuchthauszelle auf Saint-Joseph verlassen. In vier Monaten werde ich dreißig Jahre alt.
    Acht Uhr. Ich habe mein ganzes Brot aufgegessen. Im Lager wird es ja etwas zu essen geben. Die Tür wird aufgesperrt. Der Zweite Kommandant und zwei Aufseher stehen davor.
    »Charrière, Sie haben Ihre Strafe beendet, es ist der 26. Juni 1936. Folgen Sie uns.«
    Ich gehe hinaus. Im Hof angekommen, erleide ich, geblendet von der grell brennenden Sonne, eine Art Schwächeanfall. Meine Beine knicken ein, und schwarze Flecken tanzen mir vor den Augen, obwohl ich von den fünfzig Meter, die ich in der Sonne zurückzulegen habe, noch keine dreißig gegangen bin.
    Im Pavillon »Verwaltung« treffe ich Maturette und Clousiot. Maturette ist ein wahres Skelett, mit hohlen Wangen und tiefliegenden Augen. Clousiot liegt auf einer Bahre. Er ist aschfahl und gleich* bereits einem Toten. Die sehen aber gar nicht gut aus, meine beiden Kumpels, denke ich. Sollte ich in einem ähnlichen Zustand sein? Ich würde mich gern im Spiegel sehen.
    »Na, wie geht’s?« frage ich sie.
    Sie antworten nicht.
    »Wie geht’s?« wiederhole ich.
    »Ja«, sagt Maturette leise. Sonst nichts.
    Ich möchte am liebsten sagen, daß wir jetzt, nach beendeter Strafe, das Recht haben, zu reden. Ich küsse Clousiot auf die Wange. Er sieht mich mit glänzenden Augen an und lächelt.
    »Lebwohl, Papillon«, sagt er.
    »Nein, das nicht!«
    »Doch, mit mir ist es aus.«
    Wenige Tage darauf starb er im Spital auf Royale. Er war zweiunddreißig Jahre alt und wurde mit zwanzig für den Diebstahl eines Fahrrades bestraft, den er nicht begangen hatte.
    Der Kommandant kommt.
    »Lassen Sie sie herein. Maturette und Sie, Clousiot, haben sich gu geführt. Ich trage das auch in Ihr Karteiblatt ein: ,Gute Führung. Sie, Charrière, haben sich schwer vergangen, ich trage ein, was Sie verdient haben: ›Schlechte Führung.‹«
    »Entschuldigen Sie, Herr Kommandant, wieso habe ich mich vergangen?«
    »Erinnern Sie sich wirklich nicht mehr an die Entdeckung der Zigaretten und der Kokosnuß?«
    »Nein, wirklich nicht.«
    »Wir wollen sehen. Wie haben Sie in den vier Monaten gelebt?«
    »Wie meinen Sie das? Was das Essen betrifft? Genauso wie seit meiner Ankunft immer.«
    »Also das ist die Höhe! Was haben Sie gestern abend gegessen?«
    »Wie gewöhnlich. Was man mir gegeben hat. Was weiß ich? Ich erinnere mich nicht daran. Bohnen vielleicht, oder Reis, oder etwas anderes.«
    »Dann haben Sie also abends gegessen?«
    »Ja glauben Sie, Herr Kommandant, daß ich mein Essen wegschütte?«
    »Nein, das nicht. Ich gebe auf. Gut, ich lasse die ›schlechte Führung‹ weg. Legen Sie eine neue Entlassungskartei an, Herr X. Ich schreibe also: ›Gute Führung.‹ In Ordnung?«
    »Richtig. Ich habe auch wirklich nichts getan, um das nicht zu verdienen.«
    Nach diesen Worten verlassen wir drei sein Büro.
    Das große Tor des Zuchthauses wird geöffnet, um uns hinauszulassen. Begleitet von einem einzigen Aufseher, gehen wir langsam den Weg ins Lager hinunter. Silberfunkelnd und schaumbedeckt breitet sich das Meer vor uns aus. Royale mit seinem Grün und den roten Dächern liegt uns gegenüber. Die Teufelsinsel dahinter ist herb und wild. Ich bitte den Aufseher um die Erlaubnis, mich ein paar Minuten hinsetzen zu dürfen. Er erlaubt es. Wir setzen uns nieder, einer rechts, der andere links von Clousiot, und reichen uns die Hände, ohne uns dessen bewußt zu sein. Die Berührung löst ein sonderbares Gefühl in uns dreien aus.
    Wortlos umarmen wir einander, »Kommt, Burschen, wir müssen weiter«, sagt der Aufseher.
    Und langsam, sehr langsam gehen wir weiter ins Lager hinunter. Maturette und ich gehen voraus. Wir halten uns noch immer an den Händen. Hinterdrein, von zwei Trägern getragen, die Bahre mit unserem im Sterben liegenden Freund.
Das Leben auf Royale
    Kaum sind wir im Lagerhof, umgibt uns auch schon die wache Aufmerksamkeit aller Strafgefangenen. Ich finde Pierrot, den Verrückten, wieder, Jean Sartrou, Colondini, Chissilia. Wir sollen alle drei in die Krankenstation gehen, sagt uns die Wache. An die zwanzig Männer begleiten uns, während wir den Hof überqueren und in die Krankenstation eintreten. In wenigen Minuten haben Maturette und ich ein Dutzend Zigaretten- und Tabakpackungen vor uns, heißen

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