Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
Vom Netzwerk:
er. »Haben Sie etwas daran auszusetzen?«
    »Absolut nicht, Herr Direktor«, antworte ich. »Ich habe nur das unwiderstehliche Bedürfnis, Sie anzuspucken. Aber ich will meine Spucke nicht besudeln.«
    Er ist so verblüfft, daß er errötet und nicht gleich begreift.
    Der Oberaufseher aber hat sofort begriffen. »Hinaus mit ihm«, ruft er den Aufsehern zu. »Und gebt es ihm! Ich erwarte, daß er in einer Stunde hier ist und auf dem Bauch um Entschuldigung bittet. Wir werden ihn schon dressieren! Dann darf er mir mit der Zunge die Schuhe putzen, oben und unten! Ich überlasse ihn euch. Und nicht zu lax, wenn ich bitten darf!«
    Zwei Wärter drehen mir den rechten Arm um, zwei den linken. Ich liege flach auf dem Boden, die Hände in Höhe der Schulterblätter. Man legt mir Fesseln mit Daumenschrauben an, die meinen linken Zeigefinger mit dem rechten Daumen verbinden. Dann zieht mich der Oberaufseher wie ein Tier an den Haaren hoch.
    Nicht nötig, zu erzählen, was sie weiter mit mir angestellt haben. Es genügt, zu erwähnen, daß ich elf Tage mit auf dem Rücken gefesselten Händen verbringen mußte. Ich verdanke mein Leben einzig Batton.
    Tagtäglich warf er mir das vorschriftsmäßige Stück Brot in die Zelle, doch da ich meiner Hände beraubt war, konnte ich es nicht essen. Ich erreichte es nicht einmal dann, wenn ich den Kopf durch das Gitter steckte, um hineinzubeißen. Doch Batton warf mir auch in genügender Menge zurechtgeschnittene Brotbissen zu.
    Ich scharte sie mit dem Fuß zu kleinen Häufchen zusammen, dann legte ich mich flach auf den Bauch und aß sie auf wie ein Hund. Ich kaute sie gründlich Stück für Stück.
    Am zwölften Tag nahm man mir die Fesseln ab. Der Stahl hatte sich derart in mein Fleisch gebohrt, daß das Eisen stellenweise von geschwollenem Gewebe überwuchert war. Der Oberaufseher bekam es mit der Angst zu tun, um so mehr, als ich vor Schmerzen ohnmächtig wurde. Als ich wieder zu mir kam, brachte man mich ins Krankenzimmer und reinigte mich mit Wasserstoff. Man bestand sogar darauf, mir eine Injektion gegen Tetanus zu geben. Meine Arme waren steif und verkrümmt und ließen sich nicht in ihre normale Stellung bringen; erst nach einer mehr als halbstündigen Einreibung mit Kampferöl konnte ich sie an meinem Körper heruntersenken.
    Ich kehrte wieder in die Zelle zurück. Als der Oberaufseher die elf Brote bemerkte, sagte er: »Du wirst hier wohl einen Festschmaus halten? Merkwürdig, du bist gar nicht einmal so mager nach diesen elf Fasttagen…«
    »Ich habe genug Wasser getrunken, Chef.«
    »Ach, das ist es, ich verstehe. Jetzt iß aber tüchtig, um aufzuholen.« Und damit ging er.
    Der Idiot! Er ist überzeugt, daß ich seit elf Tagen nichts gegessen habe und daß ich, wenn ich zuviel auf einmal in mich hineinstopfe, an verdorbenem Magen krepieren werde. Er wird sich täuschen. Gegen Abend läßt mir Batton Tabak und Zigarettenpapier zukommen.
    Ich rauche, rauche und blase den Rauch in das Ofenloch, damit es wenigstens irgendeinen Zweck erfüllt.
    Später rufe ich Julot an. Er glaubt, daß ich seit elf Tagen nichts gegessen habe, und rät mir, nur ganz allmählich wieder zu futtern. Ich möchte ihm nicht die Wahrheit sagen, aus Angst, einer der Schweinehunde könnte mein Klopftelegramm im Vorübergehen entziffern. Julot hat den Arm in Gips, er ist guten Mutes und beglückwünscht mich, daß ich durchgehalten habe.
    Nach Julots Meinung werden wir bald reisen; der Krankenwärter hat ihm gesagt, daß die Impfampullen bereits gekommen sind, für gewöhnlich kommen sie einen Monat vor der Abfahrt der Sträflinge. Er ist unvorsichtig, denn er fragt mich, ob ich den Stöpsel gerettet habe. Ja, ich habe ihn gerettet. Aber was ich getan habe, um mir dieses Vermögen zu erhalten, kann ich hier nicht schildern. Ich habe grausame Wunden im After.
    Drei Wochen später entläßt man uns aus den Zellen. Was ist passiert? Man erlaubt uns zu duschen. Eine sensationelle Sache! Ich fühle mich wie neugeboren. Julot lacht wie ein kleiner Junge, und Pierrot, der Narr, strahlt vor Lebensfreude.
    Wir haben keine Ahnung, was sich tut. Der Friseur wollte mir auf mein leises »Was ist los?« keine Antwort geben.
    Ein Unbekannter mit dreckiger Schnauze meint: »Amnestie. Keine Dunkelhaft mehr. Vielleicht haben sie Angst vor einem durchreisenden Inspektor. Hauptsache, man ist am Leben.«
    Wir werden in normale Zellen überführt. In meiner ersten warmen Suppe seit dreiundvierzig Tagen finde ich ein Stück

Weitere Kostenlose Bücher