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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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geschrieben. Ich habe auch den Schuft gesehen, der die Edith Cavell, die englische oder belgische Rotkreuzschwester, erschießen ließ, die 1917 die englischen Flieger rettete. Diese widerliche Erscheinung, groß und fett, trug einen Stock in der Hand, mit dem er eine riesige Muräne erschlug, mehr als ein Meter fünfzig lang und dick wie ein Hintern. Der Arzt lebt ebenfalls in einem der kleinen Häuser, die nur für die Politischen da sind.
    Dieser Doktor Leger ist ein großer Mann, schmutzig und knochig. Nur sein Gesicht ist sauber, von grauen Haaren umgeben, die ihm bis auf den Hals und über die Schultern fallen. Seine Hände sind mit blutroten Narben bedeckt, die von schlecht geheilten Wunden herrühren müssen, die er sich beim Anklammern an Klippen im Meer zugezogen hat.
    »Wenn du etwas brauchst, komm nur zu mir, ich werd es dir geben. Komm nicht, wenn du krank bist. Ich mag nicht, daß man mich besucht, und noch weniger, daß man mich anspricht. Ich verkaufe Eier und manchmal ein Hühnchen oder eine Henne. Falls du heimlich ein Ferkel schlachtest, bring mir die Hinterhaxe, und du kriegst von mir ein Hühnchen und sechs Eier dafür. Weil du schon einmal da bist, nimm diese Dose mit. Es sind hundertzwanzig Chinintabletten drin. Da du wahrscheinlich hierhergekommen bist, um zu flüchten, werden sie dir, falls dir dieses Wunder gelingt, im Urwald gute Dienste leisten.«
    Ich fische morgens und abends astronomische Mengen von Felsenrötlingen. Jeden Tag schicke ich drei bis vier Kilo in die Aufseherküche. Santori strahlt, niemals hat man ihm eine solche Menge verschiedener Fische und Langustinen gebracht. Es gibt Tage, da tauche ich bei Ebbe und bringe dreihundert Langustinen herauf.
    Der Toubib Germain Guibert ist gestern auf die Teufelsinsel gekommen. Es war glattes Meer, und so kam er mit dem Kommandanten von Royale und Madame Guibert. Diese wunderbare Frau ist die erste Frau, die ihren Fuß auf den Teufel gesetzt hat. Dem Kommandanten zufolge hat überhaupt noch niemals ein Zivilist seinen Fuß auf die Insel gesetzt. Ich habe länger als eine Stunde mit ihr sprechen können. Sie ging mit mir bis zu der Bank, wo Dreyfus immer saß und ins Weite blickte, gegen Frankreich hin, das ihn verworfen hatte.
    »Wenn dieser glatte Stein uns die Gedanken von Dreyfus sagen könnte…«, meinte sie und streichelte ihn.
    »Es ist sicherlich das letztemal, daß wir uns sehen, Papillon, weil Sie mir sagen, daß Sie so bald wie möglich zu flüchten versuchen werden. Ich werde zu Gott beten, daß es Ihnen diesmal glücken möge. Und ich bitte Sie, bevor Sie weggehen, hierherzukommen und eine Minute auf dieser Bank zu verweilen und sie ebenso zu streicheln wie ich, um mir damit adieu zu sagen.«
    Der Kommandant hat mir erlaubt, wann immer ich will, dem Doktor über das Kabel Langustinen und Fische zu senden. Santori ist einverstanden.
    »Adieu, Toubib, adieu, Madame.« So unbefangen wie möglich grüße ich zu ihnen hinüber, bevor die Schaluppe sich von der Anlegestelle löst. Die Augen von Frau Guibert blicken mich groß an, mit einem Ausdruck, als wollte sie sagen: Vergiß uns niemals, so wie wird dich niemals vergessen werden.
    Die Bank des Hauptmann Dreyfus steht ganz auf der Höhe der nördlichen Inselspitze. Von hier aus überschaut man das Meer weit.
    Ich habe heute nicht gefischt. In einem natürlichen Fischteich habe ich schon über hundert Kilo Rötlinge und in einer Eisentonne, die an einer Kette hängt, über fünfhundert Langustinen. Ich kann mich also nicht dem Fischfang widmen, ich habe schon genug für den Arzt, für Santori, für den Chinesen und mich.
    Wir schreiben jetzt 1941. Seit elf Jahren bin ich im Gefängnis. Ich bin fünfunddreißig. Die schönsten Jahre meines Lebens habe ich in der Zelle verbracht oder im Kerker. Nur sieben Monate habe ich insgesamt in völliger Freiheit mit meiner indianischen Familie verbracht. Die Kinder, die ich von meinen beiden indianischen Frauen haben muß, wenn sie am Leben blieben, sind jetzt acht Jahre alt. Was für ein Jammer!
    Wie schnell ist die Zeit vergangen! Aber wenn ich zurückblicke und mir diese vielen Stunden, diese vielen Minuten vergegenwärtige, dann sind sie dennoch langsam vergangen, und jede einzelne trägt das Mal des Kreuzweges, den ich unter Qualen durchschreite.
    Fünfunddreißig Jahre! Wo ist Montmartre? Die Place Blanche? Die Place Pigalle? Der Ball im Petit Jardin?
    Der Boulevard de Clichy? Wo ist meine Nenette mit ihrem Madonnengesicht, fein

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