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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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geschnitten wie auf einer Kamee, die großen, schwarzen Augen in Verzweiflung auf mich gerichtet, während sie mir zuruft: »Halt aus, mein Geliebter, ich werde dich dort drüben überm Ozean finden.« Wo ist er, Raymond Hubert, mit seinem »Wir sind quitt«? Wo sind die zwölf Würmchen vom Schwurgericht? Und die Trippelmädchen? Und der Staatsanwalt? Was ist mit meinem Papa und den Familien, die meine Schwestern unter dem deutschen Joch begründet haben?
    So viele Fluchten! Zählen wir mal, wie viele? Die erste, als ich aus dem Spital flüchtete, nachdem ich die Aufpasser niedergeschlagen habe. Die zweite in Kolumbien, in Rio Hacha. Die schönste. Dort ist sie mir ganz gelungen. Warum habe ich mein Familiennest verlassen? Ein sehnsüchtiges Kribbeln durchläuft meinen Körper. Ich glaube in mir noch die wunderbaren Erlebnisse mit den beiden indianischen Schwestern zu spüren, wenn ich mit ihnen schlief.
    Dann die dritte Flucht, die vierte, die fünfte und die sechste in Baranquilla. Von welchem Unsegen waren diese Fluchten verfolgt! Ein Schlag nach dem anderen! Irgendeine Kleinigkeit, die sie mißlingen ließ…
    Die siebente in Royale. Wo dieser Schuft von einem Bebert Gelier mich verpfiffen hat. Sie wäre sicher geglückt. Und wenn er sein Maul gehalten hätte, wäre ich frei, zusammen mit meinem armen Freund Carbonieri.
    Die achte, die letzte, die verrückte vom Asyl. Da habe ich einen Fehler gemacht, einen schweren Fehler.
    Nämlich daß ich den Italiener die Stelle aussuchen ließ, wo wir zu Wasser gehen sollten. Zweihundert Meter weiter unten gegen das Schlachthaus zu, und es wäre gewiß leichter gewesen, das Floß aufs Meer zu setzen.
    Diese Bank, wo Dreyfus, der unschuldig Verurteilte, den Mut gefunden hat, trotzdem weiterzuleben, soll mir zu einem dienen: mich nicht geschlagen geben, eine neue Flucht versuchen.
    Ja, dieser abgeschliffene Stein, glatt und die Tiefe überragend, wo unaufhörlich
die
wütenden Wellen gegen die Felsen schlagen, soll für mich eine Stütze und ein Beispiel sein. Dreyfus hat sich niemals geschlagen gegeben und hat immer, bis zum Ende, für seine Ehrenrettung gekämpft. Richtig, er hat Emile Zola und sein berühmtes »J’accuse« zum Verteidiger gehabt. Trotzdem, wäre er ein schwacher Mann gewesen, angesichts solcher Ungerechtigkeit hätte er sich bestimmt in den Abgrund da gestürzt, hier von dieser Bank. Aber er ist standhaft geblieben. Ich darf nicht kleiner sein als er, und ich muß bei einer neuerlichen Flucht meine alte Devise: Siegen oder sterben, aufgeben. Es ist das Wort »sterben«, das ich aufgeben muß, um endlich nur noch daran zu denken, daß ich siegen und frei sein werde.
    In den langen Stunden, die ich auf der Dreyfus-B ank verbringe, gehen meine Gedanken spazieren, träume ich von Vergangenem und baue mir eine rosa Zukunft. Meine Augen sind von dem vielen Licht oft geblendet, von dem grellen Widerschein der Sonne auf dem Meer. Gezwungen, daraufzublicken, ohne es wirklich zu sehen, kenne ich alle möglichen und vorstellbaren Eigenarten dieses Meeres und der Wellen, die dem Wind gehorchen. Unerbittlich, ohne jemals zu ermüden, schlägt das salzige Meer an die weit vorgeschobenen Felsen der Insel, wühlt sich in sie hinein, reißt ihnen Stücke heraus, als wollte es dem Teufel sagen: Geh weg, du mußt verschwinden, du störst mich da auf meinem Weg zum Festland. Du stellst dich mir entgegen, und darum trage ich jeden Tag, jeden Tag ohne Unterlaß ein kleines Stück von dir weg.
    Wenn Sturm ist, brandet das Meer freudigen Herzens heran und stürzt sich nicht nur auf die Felsen, beim Zurückfluten alles mit sich reißend, was es zertrümmern konnte, sondern es sucht wieder und wieder in allen Ecken und Winkel, Ritzen und Sprüngen sein Wasser hineinzuschicken und so nach und nach von unten her diese riesigen Felsen auszuhöhlen, die ihm zu erwidern scheinen: Hier kommst du nicht durch.
    So geschieht es, daß ich eine sehr wichtige Sache entdecke. Tief unten, genau unter der Bank, auf der Dreyfus saß, kommen die Wogen geradewegs auf die Felsenriesen zu, die wie ein Eselsrücken aussehen, und brechen sich dort mit großer Heftigkeit. Ihre Wassermassen können sich nicht verteilen, denn sie werden von zwei Felsen eingeengt, die ein Hufeisen von ungefähr fünf mal sechs Meter Breite bilden.
    Dahinter erhebt sich die Felsmauer, so daß die Wassermasse der Woge keinen anderen Ausgang hat, als wieder zurück ins Meer zu fließen.
    Das ist sehr wichtig, denn in dem

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