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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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Augenblick, da die Woge sich bricht und in diesen Schlund hineinstürzt, werfe ich mich mit einem Sack Kokosnüssen vom Felsen hinab und tauche direkt in sie hinein, ohne den leisesten Schatten eines Zweifels, daß sie mich beim Zurückfluten mittragen wird.
    Ich weiß, wo ich einige gute Säcke hernehmen kann, um die Kokosnüsse einzusammeln. Im Schweinestall gibt es Säcke, soviel man will.
    Erste Station: ein Versuch. Wenn Vollmond ist, steigt die Flut höher an, daher sind die Wogen stärker. Ich werde den Vollmond abwarten. Ein gut genähter Jutesack, voll mit trockenen Kokosnüssen, noch in der Fasernhülle, liegt gut versteckt in einer Art Grotte, in die man nur unter Wasser eindringen kann. Ich habe diese Grotte entdeckt, als ich nach Langustinen tauchte. Sie halten sich unter der Decke der Grotte auf, die nur dann Luft erhält, wenn es Ebbe gibt. In einem anderen Sack, der mit dem Kokossack verbunden ist, habe ich einen Stein von ungefähr fünfunddreißig bis vierzig Kilo untergebracht. Da ich mit zwei Säcken voll Kokosnüssen abhauen will und ich selber siebzig Kilo wiege, sind die Gewichtsverhältnisse beim Versuch die gleichen.
    Ich bin ganz aufgeregt bei diesen Überlegungen. Diese Seite der Insel ist tabu. Nie würde jemand argwöhnen, daß einer für eine Flucht ausgerechnet diese Stelle wählen könnte, wo die Brandung besonders hoch, ja am allergefährlichsten ist. Aber es ist die einzige Stelle, wo ich ins offene Meer hinausgetragen werde, falls es mir gelingt, mich von der Küste zu lösen, und wo ich keinerlei Gefahr laufe, gegenüber, an der Insel Royale, zerschmettert zu werden.
    Von hier aus muß ich flüchten. Von nirgendwo anders.
    Der Sack mit den Kokosnüssen und der mit dem Stein sind schwer, kaum allein zu tragen. Ich habe sie nicht auf den Felsen schleppen können. Der Felsen ist glitschig und immer naß. Ich habe mit Tschang gesprochen, er wird mir helfen. Er hat ein ganzes Arsenal für den Fischfang mitgenommen, auch Grundnetze, damit wir, falls man uns überrascht, sagen können, wir hätten Netze ausgelegt, um Haifische zu fangen.
    »Los, Tschang! Nur noch ein wenig, und wir haben es geschafft!« Der Vollmond beleuchtet die Szenerie, als wäre es Tag. Das Getöse des Wellengangs macht mich halb taub. Tschang fragt mich: »Bist du bereit, Papillon? Gib ihn der da mit!« Eine Woge von fast fünf Meter Höhe stürzt wie wild auf den Felsen zu, bricht sich unter uns, aber der Anprall ist so heftig, daß die Krone über den Felsen hinwegkracht und uns völlig durchnäßt. Das hindert uns nicht, ihr noch in der gleichen Sekunde, bevor die Gegenströmung einsetzt, den Sack zuzuwerfen. Wie ein Korb schwimmt er ins offene Meer hinaus.
    »Das war’s, Tschang, so ist’s gut!«
    »Warten, ob Sack nicht rückkommen.«
    Kaum fünf Minuten später sehe ich bestürzt, daß mein Sack tatsächlich herankommt, er tanzt auf dem Kamm einer ungeheueren Woge von mehr als sieben oder acht Meter. Wie ein Nichts trägt die Woge den Sack mit den Kokosnüssen und dem Stein auf ihrem Kamm und schickt ihn mit wahnsinniger Kraft dorthin zurück, woher er gekommen war, ein wenig weiter links, wo er an einem Felsen zerschellt. Der Sack öffnet sich, die Kokosnüsse werden herausgeschleudert, und der Stein rollt in den Strudel hinein.
    Naß bis auf die Knochen, denn das Wasser hätte uns fast weggespült – glücklicherweise gegen die Uferseite hin –, zerschunden und zerschlagen und ohne noch einen weiteren Blick auf das Meer zu werfen, entfernen wir uns, Tschang und ich, so schnell wie möglich von diesem verfluchten Ort.
    »Nicht gut, Papillon, nicht gut Idee – Flucht von Teufelsinsel. Besser viel Royale. Südseite besser wegkommen als von hier.«
    »Ja, aber in Royale wäre eine Flucht nach längstens zwei Stunden entdeckt. Der Sack mit den Kokosnüssen hat keinen anderen Antrieb als den durch die Wogen, also kann ich von den drei Booten dort in die Zange genommen werden. Hier aber gibt es kein Boot. Und zweitens habe ich hier sicher die ganze Nacht vor mir, bevor man die Flucht bemerkt. Und dann kann man auch glauben, daß ich während des Fischfangs ertrunken bin. Auf dem Teufel gibt es kein Telephon. Wenn ich bei großem Seegang flüchte, ist keine Schaluppe der Welt imstande, bis zur Insel zu gelangen. Also muß ich von hier weg Aber wie?«
    Bleierne Sonne zu mittag. Eine tropische Sonne, die das Hirn im Schädel zum Kochen bringt. Eine Sonne, die jede Pflanze, die zwar wachsen konnte, aber nicht

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