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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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groß und stark genug werden konnte, um der Glut standzuhalten, verdorren läßt. Eine Sonne, die jede nicht allzu tiefe Meerwasserlache in wenigen Stunden zum Verdunsten bringt, so daß nichts mehr zurückbleibt als eine schneeweiße Salzschicht. Eine Sonne, die die Luft tanzen macht! Ja, die Luft bewegt sich, buchstäblich bewegt sie sich vor meinen Augen, und das Flimmern des Lichtes auf dem Meer brennt in den Pupillen. Trotzdem sitze ich wieder auf der Bank von Dreyfus und lasse mich nicht davon abhalten, das Meer zu studieren. Und allmählich wird mir bewußt, daß ich ein wahrer Idiot gewesen bin.
    Die Hauptwelle, zweimal so hoch wie alle andern, hat meinen Sack auf die Felsen zurückgeworfen, ihn buchstäblich pulverisiert. Und diese Hauptwelle wiederholt sich nur nach jeweils sechs kleineren. Sie ist immer die siebente.
    Von Mittag bis Sonnenuntergang beobachte ich diese Erscheinung, ob das wirklich automatisch und ganz regelmäßig vor sich geht oder ob es da Launen gibt, irgendeine Unregelmäßigkeit in der Abfolge der Wogen oder in der Form der gigantischen siebenten.
    Nein, nicht ein einziges Mal ist die Hauptwelle früher oder später angekommen. Nach sechs Wellen von ungefähr sechs Meter bildet sich – mehr als dreihundert Meter von der Küste entfernt – die Hauptwelle. Sie kommt aufrecht wie ein I heran. Je näher sie kommt, desto massiger und höher und steiler wird sie. Auf ihrem Kamm bildet sich im Gegensatz zu den sechs anderen sehr wenig Schaum. Sie rauscht auch anders, es ist, als ob ein Donner rolle und in der Ferne verklänge. Wenn sie sich an den beiden Felsen bricht und in den Durchgang zwischen ihnen hereinstürzt, ist ihre Wassermasse weit größer als die der anderen Wellen.
    Sie prallt an die Felsmauer an, drückt sich in die Höhlung hinein, wälzt sich mehrmals darin herum, und erst nach zehn bis fünfzehn Sekunden finden alle diese Strudel und Wirbel wieder zum Ausgang zurück und reißen große Steine mit sich, die mit einem solchen Getöse auf und ab rollen, daß man meinen könnte, Hunderte Steinkarren werden auf einmal entleert.
    Ich habe ein Dutzend Kokosnüsse in einen gleichen Sack gegeben, einen Stein von ungefähr zwanzig Kilo dazu, und kaum bricht sich die Hauptwelle, werfe ich
den
Sack hinein.
    Ich kann ihn nicht mit den Augen verfolgen, es ist zu viel weißer Schaum in dem Schlund, aber eine Sekunde lang sehe ich ihn, als das Wasser wie herausgesogen ins Meer zurückflutet. Der Sack ist nicht wiedergekommen. Die sechs anderen Wellen hatten nicht genug Kraft, ihn an die Küste zurückzuwerfen, und als sich die siebente in ungefähr dreihundert Meter Entfernung bildete, war der Sack anscheinend schon über die Stelle dort draußen hinweggetragen worden, wo sie entsteht. Ich sah ihn nicht wieder.
    Freudig und voller Hoffnung gehe ich ins Lager zurück. Es ist geschafft. Ich habe eine grandiose Art herausgefunden, wie das Floß ins Wasser zu bringen ist. Jetzt steckt kein unsicheres Abenteuer mehr in dem Ganzen. Ich werde trotzdem nochmals eine Probe machen, unter völlig gleichen Bedingungen, wie sie für mich gelten werden: zwei Säcke mit Kokosnüssen, den einen gut mit dem anderen verbunden, und auf beide siebzig Kilo Gewicht verteilt, bestehend aus zwei oder drei Steinen. Ich sage es Tschang, und mein Schlitzaugenkumpel ist ganz Ohr für meine Erklärungen.
    »Gut, Papillon. Ich glaube, du gefunden. Ich dir helfen bei richtige Probe. Warten auf acht Meter Flut. Bald Tagundnachtgleiche.«
    So nützen wir den Flutanstieg über acht Meter aus, und Tschang hilft mir dabei, in diese hübsche Welle zwei Kokosnußsäcke, die mit drei Steinen von ungefähr neunzig Kilo beschwert sind, hineinzuwerfen.
    »Wie heißen kleines Mädchen, du herausgeholt in Saint-Joseph?«
    »Lisette.«
    »Wir nennen Welle, die dich einmal trägt weg von hier, Lisette. Einverstanden?«
    »Einverstanden.«
    Lisette kommt mit dem gleichen Lärm heran, den ein Schnellzug macht, wenn er in den Bahnhof einfährt. Sie hat sich ungefähr bei zweihundertfünfzig Meter Entfernung gebildet und nähert sich aufrecht wie eine Mauer, die mit jeder Sekunde größer wird. Sie bricht sich so vehement, daß Tschang und ich vom Felsen gefegt werden und die beladenen Säcke ganz von allein in den Strudel fallen. Weil uns sofort, im Bruchteil einer Sekunde, klar wurde, daß wir uns auf dem Felsen nicht halten würden, haben wir uns rückwärts geworfen, was uns zwar nicht davor schützte, von einem Schwumm Wasser

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