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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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überschüttet zu werden, aber davor, daß es uns in den Abgrund riß.
    Es war zehn Uhr vormittags, als wir diesen Versuch unternahmen. Wir haben nichts riskiert, denn die drei Aufpasser sind am anderen Ende der Insel mit Generalinventur beschäftigt. Der Sack ist weggeschwommen.
    Sehr weit weg von der Küste ist er klar auszunehmen. Wurde er weiter hinausgezogen, über die Stelle hinweg, wo die Hauptwelle entsteht? Wir haben keinen optischen Anhaltspunkt, um zu beurteilen, ob es weiter oder näher ist. Die sechs nachstoßenden Wellen haben Lisette nicht einholen können. Noch einmal bildet sich Lisette, kommt heran und flutet wieder weg. Auch sie hat die Säcke nicht zurückgebracht. Folglich befanden sie sich schon außerhalb der bewußten Stelle. Wir steigen schnell zur Dreyfus-Bank empor und versuchen, die Säcke nochmals zu erspähen. Und haben nach viermaliger Wiederkehr von Lisette die Freude, die Säcke sehr weit draußen auf den Kämmen der Wellen zu sehen, die sich nicht mehr auf die Teufelsinsel zuwälzen, sondern westwärts hinrollen. Kein Zweifel, der Versuch ist gelungen. Ich werde mich auf dem Rücken von Lisette ins große Abenteuer stürzen.
    »Sie kommt, schau!« Eins, zwei drei, vier, fünf, sechs … und da ist Lisette wieder.
    Das Meer ist immer mürrisch an der Inselspitze, wo die Dreyfus-Bank steht, aber heute ist es ganz besonders schlechter Laune, Lisette nähert sich mit ihrem charakteristischen Lärm. Sie erscheint mir heute noch riesiger, auch etwas verschoben, vor allem an ihrer Basis, und sie bringt größere Wassermassen als üblicherweise heran. Diese ungeheuerliche Masse stürzt noch schneller, in noch direkterem Anprall als sonst auf die beiden Felsen zu. Und während sie sich bricht und in den Raum zwischen den enormen Steinen eindringt, ist das Getöse wenn möglich noch betäubender als je zuvor.
    »Hier willst du dich hineinwerfen, sagst du? Na, Kumpel, da hast du dir den richtigen Ort ausgesucht. Da mach ich nicht mit. Ich will flüchten, nicht Selbstmord begehen.«
    Sylvain ist sehr beeindruckt von Lisette, wie ich sie ihm eben vorgestellt habe. Er ist seit drei Tagen auf der Insel, und natürlich habe ich ihm vorgeschlagen, mit mir zusammen zu flüchten, jeder auf einem eigenen Floß. So hätte ich, falls er einverstanden ist, auf dem Festland einen Kameraden, um gemeinsam mit ihm die Flucht fortzusetzen. Im Urwald allein – das ist nicht sehr lustig.
    »Hab nicht gleich Bammel im vorhinein. Ich gebe zu, daß auf den ersten Anhieb jeder zurückweicht. Aber immerhin ist es die einzige Welle, die imstande ist, dich so weit hinauszuziehen, daß die andern, die hinter ihr kommen, nicht mehr die Kraft haben, dich auf die Felsen zurückzuwerfen.«
    »Beruhig dich«, sagt Tschang, »wir geprobt. Du sein sicher, einmal weg, nicht mehr zurück auf Teufel, nicht mehr nach Royale.« Ich brauchte eine Woche, um Sylvain zu überzeugen. Ein Bursche, ganz aus Muskeln bestehend, einsneunzig groß, der ganze Körper durchgebildet wie bei einem Athleten.
    »Ich gebe zu«, sagt er, »daß man genügend weit hinausgezogen wird. Und dann? Wieviel Zeit rechnest du, bis man zum Festland kommt, nur von Flut und Ebbe getragen?«
    »Offen gesagt, Sylvain, das weiß ich nicht. Die Abtrift kann mehr oder weniger lang dauern, das hängt vom Wetter ab. Der Wind wird uns kaum packen, dazu liegen wir zu flach auf dem Wasser. Aber wenn stürmisches Wetter ist, werden die Wellen stärker sein und uns schneller zur Küste hinstoßen. Nach sieben oder acht oder höchstens zehn Gezeitenwechseln werden wir dort anlangen. Das wird also alles in allem mit dem Abtriften seine achtundvierzig bis sechzig Stunden dauern.«
    »Wie berechnest du das?«
    »Nimmt man die Gerade von den Inseln bis zur Küste, so sind es nicht mehr als vierzig Kilometer. Mit der Abtrift ergibt das die Hypotenuse eines rechtwinkeligen Dreiecks. Beobachte die Wellentrift. Mehr oder weniger werden hundertzwanzig bis hundertfünfzig Kilometer, höchstens, zu bewältigen sein. Je mehr man sich der Küste nähert, desto direkter werden die Wellen darauf zulaufen und uns ans Ufer werfen. Grob geschätzt, glaubst du nicht, daß ein Strandgut auf diese Distanz von der Küste fünf Kilometer pro Stunde macht?«
    Er blickt mich an und hört sehr aufmerksam zu. Dieser große Bursche ist höchst intelligent. »Ich gebe zu, du redest keinen Blödsinn, hat alles Hand und Fuß. Und wenn uns nicht die Ebben einen Zeitverlust zufügten, aber die sind es ja,

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