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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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schnell und kurz auf, um nicht vom Wasserschaum benetzt zu werden. Alles ringsum ist voll Schaum, und das Wasser hat eine unangenehm gelbe, widerliche Färbung. Wir sind so nahe, daß ich an den Baumstämmen die Schmutzlinie erkennen kann, die das Wasser auf seiner maximalen Höhe hinterläßt. Das Brandungsgetöse vermag die spitzen Schreie dieser Tausenden Stelzenläufer aller Farben nicht zu übertönen. »Pieh-pieh-pieh!«
    Noch zwei oder drei Meter … Pluff! Ich bin an Land, ich stehe auf dem Morast. Das Wasser ist nicht mehr hoch genug, um mich zu tragen. Der Sonne nach zu schließen, ist es zwei Uhr nachmittags. Das sind also vierzig Reisestunden gewesen. Vorgestern, um zehn Uhr abends, nach zwei Stunden Ebbe, bin ich weg. Es ist also der siebente Flutwechsel und ganz normal, daß ich an Land gekommen bin: mit niedriger Flut. Sie wird gegen drei Uhr wieder ansteigen. Nachts werde ich im Busch sein.
    Ich behalte die Kette um, damit ich nicht von den Säcken gerissen werde, denn der weit gefährlichste Moment wird dann eintreten, wenn mich beim Höhersteigen der Flut die Brandung überrollen wird und mich wegreißt, weil ich keinen Grund unter mir habe. Die Flut wird mich nicht vor zwei, drei Stunden packen.
    Sylvain ist rechts von mir vorne, mehr als hundert Meter. Er blickt zu mir her und macht Handbewegungen.
    Ich habe den Eindruck, daß er mir irgend etwas zurufen will, aber keinen Ton herausbringt, denn sonst müßte ich ihn doch hören. Die Wellenstöße sind vorbei, und wir befinden uns auf dem Morast, ohne einen anderen Lärm zu hören als die Schreie der Stelzenvögel. Ich selbst bin jetzt an die fünfhundert Meter vom Busch entfernt, Sylvain an die hundert bis hundertfünfzig. Aber was tut er da,
der
lange Idiot? Er steht aufrecht und hat sein Floß ausgelassen. Ist er wahnsinnig geworden? Er darf doch nicht auftreten, sonst wird er bei jedem Schritt tiefer einsinken und vielleicht nicht mehr zu seinem Floß zurückkehren können! Ich will pfeifen, aber ich kann nicht. Es ist noch ein Rest Wasser da, ich leere die Feldflasche und versuche dann zu rufen, um ihn zu warnen.
    Ich bringe keinen Ton heraus. Aus dem Morast steigen Blasen auf, es kann also nur eine dünne Schicht sein, unter dem Floß und
den
Füßen ist der Sumpf, und wer darin einsinkt, mit dem ist’s aus.
    Sylvain wendet sich zu mir um, schaut her und macht mir Zeichen, die ich nicht verstehe, und ich zeige ihm mit großen Gesten, daß ich ihm sagen möchte: Nein, nein! Rühr dich nicht von deinem Floß weg, sonst kommst du niemals an Land!
    Da er sich hinter seinen Kokossäcken befindet, kann ich nicht ausnehmen, ob er sich weit oder nahe von seinem Floß befindet. Zuerst glaube ich, daß er nahe genug ist, um sich notfalls daran anzuhalten, sobald er einzusinken droht.
    Plötzlich verstehe ich, daß er sich recht weit davon weg befindet und in den Morast eingesunken ist, ohne sich aus ihm befreien und zum Floß zurückkehren zu können. Ein Schrei dringt bis zu mir.
    Daraufhin lege ich mich flach auf meine Säcke und greife mit meinen Händen tief in den Morast hinein, mich mit allen Kräften vorwärts schiebend. Die Säcke setzen sich in Bewegung, und es gelingt mir, mehr als zwanzig Meter vorwärts zu gleiten. Hierauf sehe ich, als ich mich aufrichte, schräg seitwärts meinen lieben Gefährten schon bis zum Bauch im Morast stecken, mehr als zehn Meter ist er von seinem Floß entfernt.
    Der Schrecken gibt mir die Stimme wieder, und ich schreie: »Sylvain, Sylvain, beweg dich nicht, leg dich auf den Sumpf! Wenn du kannst, zieh die Beine heraus!«
    Der Wind hat meine Worte zu ihm hingetragen, und er hat sie auch verstanden. Er nickt stark mit dem Kopf, um mir ja zu sagen. Ich lege mich wieder flach auf mein Floß und gleite auf dem Sumpf vorwärts. Die Wut gibt mir übermenschliche Kräfte, und ich komme ihm recht schnell um etwas mehr als dreißig Meter näher.
    Eine gute Stunde werde ich dazu gebraucht haben, aber ich bin sehr nahe von ihm. Vielleicht sind es nur noch fünfzig oder sechzig Meter. Ich kann Sylvain schlecht ausnehmen.
    Ich setze mich auf, Hände, Arme, Gesicht mit Dreck bedeckt, und versuche, mir das linke Auge zu reinigen, das vom salzigen Sumpfwasser verschmiert ist und mich brennt, so daß ich nichts sehen kann, denn zu allem Überdruß fängt nun auch das rechte an zu tränen. Endlich sehe ich ihn: er liegt nicht, er steht aufrecht, nur seine Brust ragt aus dem Sumpf. Die erste Flutwelle ist herangekommen, sie hat

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