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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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Stellung tut mir wohl. Ich versuche, Sylvain zu sehen, da das Mondlicht hell aufs Meer scheint, nur fällt es schon schräg ein und mir direkt ins Gesicht, so daß es mich schon wieder blendet. Nein, ich sehe nichts. Er hatte nichts, um sich an die Säcke anzubinden, wer weiß, ob er überhaupt noch auf ihnen reitet? Verzweifelt suche ich ihn – vergebens. Der Wind weht stark, aber regelmäßig, ohne Böen, das ist sehr wichtig. Ich gewöhne mich an seinen Rhythmus, und mein Körper ist ganz eins mit den beiden Säcken.
    Beim angespannten Beobachten meiner Umgebung packt mich mehr und mehr die fixe Idee: Ich muß meinen Kumpel entdecken. Ich trockne die Finger im Wind, stecke sie in den Mund und pfeife mit allen Kräften hindurch. Ich lausche – keine Antwort. Ob Sylvain auch durch die Finger pfeifen kann? Ich weiß es nicht. Ich hätte ihn, bevor wir abhauten, fragen müssen. Immerhin hätten wir leicht zwei Pfeifchen fabrizieren können! Ich mache mir Vorwürfe, nicht daran gedacht zu haben. Dann lege ich beide Hände vor den Mund und schreie: »Hu-hu!« Nur Wind- und Wellenrauschen antworten mir.
    Weil ich es nicht mehr länger aushaken kann, stehe ich auf und halte mich auf meinen Säcken stehend im Gleichgewicht, fünf Wellen hindurch. Sooft ich auf einem Kamm bin, halte ich Umschau. Und sobald ich ins Wellental hinunterkomme, gehe ich in die Hocke. Nichts zu sehen, weder rechts noch links, noch vorne. Ob er hinter mir ist? Ich wage nicht, aufrecht zu stehen und zurück zu blicken. Die einzige Sache, die ich ausgenommen habe, ist – zu meiner Linken eine schwarze Linie im Mondlicht. Das muß der Busch sein! Kein Zweifel.
    Bei Tagesanbruch werde ich Bäume sehen. Wie wohl das tut! »Im Sonnenlicht wirst du den Busch sehen, Papi! Ach, gebe Gott, daß du auch deinen Freund wiedersiehst!« Ich habe meine Beine von neuem ausgestreckt, nachdem ich mir die Zehen warmgerieben habe. Dann trockne ich mir sorgfältig die Hände, weil ich eine Zigarette rauchen möchte. Ich rauche zwei. Wie spät mag es sein? Der Mond steht schon tief.
    Ich erinnere mich nicht mehr, wieviel Zeit zwischen Monduntergang und Sonnenaufgang in der vorigen Nacht vergangen ist. Ich versuche es mir ins Gedächtnis zu rufen, indem ich die Augen schließe und die Bilder der ersten Nacht an mir vorüberziehen lasse. Vergebens. Ah – doch! Mit einem Schlag sehe ich klar vor mir, wie die Sonne sich im Osten hebt und gleichzeitig noch ein Stück des Mondes knapp auf der Horizontlinie im Westen zu sehen ist. Es muß also ungefähr fünf sein. Der Mond geht recht gemächlich seines Weges, bevor er ins Meer sinken wird. Das Kreuz des Südens ist schon seit langem hinunter, der Große und der Kleine Wagen ebenfalls. Nur der Polarstern glänzt stärker als alle anderen. Seit das Kreuz des Südens den Himmel verlassen hat, ist er der König des Firmaments.
    Der Wind scheint stärker zu blasen, zumindest kommt er dicker, wenn man so sagen kann, als in der Nacht.
    Darum sind jetzt auch die Wellen stärker und tiefer, und auf ihren Kämmen tummeln sich die weißen Schäfchen zahlreicher als zu Beginn der Nacht.
    Nun bin ich schon dreißig Stunden auf dem Wasser. Zugegeben, im Augenblick geht alles eher besser als schlechter. Aber nun steht mir der schwerste Tag bevor. Gestern, als ich von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends der Sonne ausgesetzt war, hat sie mich ordentlich erwischt. Heute, wenn die Sonne von neuem auf mich herunterbrennen wird, wird das kein Honiglecken sein. Meine Lippen sind schon aufgebissen, da hilft auch die Nachtkühle nicht mehr. Sie brennen stark, ebenso die Augen. Auch meine Unterarme und Hände.
    Wenn es geht, werde ich die Arme nicht mehr entblößen, es wird sich ja zeigen, ob ich die Wolljoppe ertragen werde. Und was mich noch so schrecklich brennt, das sind meine Hinterbacken und der Anus.
    Daran ist nicht die Sonne schuld, aber das Salzwasser und die Reibung auf den Säcken.
    Aber wie immer es sei, verbrannt oder nicht, du bist auf der Flucht, Freundchen, und dort sein, wo ich jetzt bin, da kann man schon gut einiges aushaken, und noch mehr. Die Aussichten, lebend ans Festland zu kommen, stehen zu fünfundneunzig Prozent günstig. Und das ist doch eine Sache, wie? Oder etwa nicht, zum Arsch? Selbst wenn dir die Haut abgezogen ist und die Hälfte deines Körpers nur mehr aus rohem Fleisch besteht, ist eine solche Reise mit so einem Ergebnis nicht zu teuer bezahlt. Stell dir vor, du hast nicht einmal einen einzigen Haifisch

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