Papillon
Aufseher und ein junger Sträfling in weißem Anzug ohne Streifen herein. Die beiden Wärter sind Korsen und unterhalten sich auf korsisch mit ihren Landsleuten. Währenddessen spaziert der Krankenwärter durch den Saal.
»Wie geht’s, Papi?« fragt er, als er vor mir steht. »Erkennst du mich nicht?«
»Nein.«
»Ich bin Sierra, der Algerier. Ich kenne dich von Dante in Paris.«
»Ach ja, jetzt weiß ich. Aber du bist neunundzwanzig hierhergekommen, jetzt schreiben wir dreiunddreißig, und du bist noch immer da?«
»Ja, man kommt hier nicht so schnell weg. Ich werde dich krankschreiben. Und wer ist das?«
»Dega. Mein Freund.«
»Ich merke dich auch gleich für die Visite vor,
du
hast Dysenterie, Papi, und du, Alter, leidest an Asthmaanfällen. Ich sehe euch um elf Uhr wieder, bei
der
Visite, wir haben miteinander zu reden.«
Er setzt seinen Weg fort. »Wer ist hier krank?« ruft er aus. Dann geht er zu denen, die den Finger heben und trägt sie ein. In Gesellschaft eines sehr alten, sonnenverbrannten Aufsehers kommt er nochmals an uns vorbei und sagt: »Ich stell dich hier meinem Chef, dem Krankenaufseher Bartiloni vor, Papillon… Der hier und der dort sind seine beiden Freunde, von denen ich Ihnen erzählte, Herr Bartiloni.«
»Schön, Sierra, wir werden das schon arrangieren, Sie können sich auf mich verlassen.«
Um elf kommt man uns holen. Wir durchqueren zu Fuß das Lager und kommen in eine ganz neue Baracke mit weißem Anstrich und einem roten Kreuz darauf. Im Wartesaal befinden sich ungefähr sechzig Männer. In jeder Ecke stehen zwei Posten. Sierra kommt in einer fleckenlos weißen Arztjacke daher.
»Ihr, ihr und ihr, kommt herein«, sagt er. Wir betreten einen Raum, den wir sofort als das Zimmer des Arztes erkennen. Sierra unterhält sich auf spanisch mit drei alten Männern. Einen von ihnen erkenne ich auf den ersten Blick, es ist Fernandez, der die drei Argentinier im Cafe« Madrid in Paris tötete. Sierra wechselt mit ihm ein paar Worte und schiebt ihn dann in eine Kammer, die zum Saal führt. Dann kommt er zu uns.
»Laß dich umarmen, Papi. Ich bin froh, dir und deinem Freund einen Gefallen erweisen zu können. Ihr seid interniert, alle beide… Laß mich ausreden! Du auf Lebenszeit, Papillon, und du, Dega, auf fünf Jahre. Habt ihr – Flachs?«
»Ja.«
»Dann gebt mir jeder fünfhundert Franc, und morgen früh seid ihr in Spitalspflege. Du wegen Dysenterie.
Und du, Dega, klopfst nachts an die Tür … oder laß lieber einen anderen den Wärter bitten, er möge doch den Krankenaufseher rufen lassen, Dega erstickt. Das übrige besorge ich. Noch eins, Papillon: bevor du jetzt gehst, laß mich rechtzeitig verständigen, damit ich dabei sein kann. Für hundert Franc pro Person und Woche wird man euch einen Monat lang behalten können. Entscheidet euch.«
Fernandez kommt aus der Kammer und reicht Sierra vor unseren Augen fünfhundert Franc, Ich ziehe mich auf die Toilette zurück und bringe ihm nicht tausend, sondern tausendfünfhundert Franc. Er weigert sich, die fünfhundert mehr anzunehmen. »Das Geld, das du mir da gibst, ist für den Wärter«, sagt er. »Ich will nichts für mich. Wir sind doch Freunde, nicht?«
Am nächsten Tag liegen Dega, ich und Fernandez in einer riesigen Spitalszelle. Dega wurde mitten in der Nacht aufgenommen. Der Saalwärter ist ein Mann von fünfunddreißig Jahren, er heißt Chatal. Er erhält alle Instruktionen, die uns drei betreffen, von Sierra. Wenn der Arzt kommt, präsentiert er ihm einen Stuhl, in dem es von Amöben wimmelt. Für Dega läßt er zehn Minuten vor der Visite etwas Schwefel erhitzen, den er ihn mit einem Handtuch über dem Kopf einatmen läßt. Fernandez hat eine stark geschwollene Backe: er hat sich innen in die Haut gestochen und sie eine Stunde lang so stark wie möglich aufgeblasen. Er hat das so gründlich besorgt, daß sich die Geschwulst bis über ein Auge hinaufzieht.
Die Zelle liegt im ersten Stock und beherbergt ungefähr siebzig Kranke, von denen die meisten an Dysenterie leiden.
Ich frage den Krankenwärter, wo Julot liegt.
»In dem Gebäude genau gegenüber«, sagt er. »Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Ja, sag ihm bitte, daß Papillon und Dega hier sind. Er soll ans Fenster kommen.«
Der Krankenwärter kommt und geht, wann er will. Er braucht nur anzuklopfen, dann öffnet ihm ein Araber.
Der Araber ist Gefangenenwärter, ein Bagnosträfling, der den Aufsehern als Aushilfe dient. Links und rechts von der Tür
Weitere Kostenlose Bücher