Papillon
sitzen drei Posten mit dem Karabiner auf den Knien. Die Fenstergitter sind aus Eisenbahnschienen, und ich frage mich, wie wir es anstellen werden, die zu durchschneiden. Ich setze mich ans Fenster.
Zwischen unserem und Julots Trakt liegt ein Garten voll hübscher Blumen. Julot erscheint am Fenster mit einem Schieferstück in der Hand, auf das er mit Kreide »Bravo!« geschrieben hat.
Eine Stunde später bringt mir der Krankenwärter einen Brief von Julot. »Ich werde versuchen, in deinen Saal zu kommen«, schreibt er. »Wenn es mir nicht gelingt, dann versucht, in den meinen zu kommen, ihr habt Feinde in eurem Saal. Also ihr seid interniert? Verliert den Mut nicht, wir werden sie schon drankriegen.« Der Vorfall in der Zentrale Caen, in der wir gemeinsam gelitten haben, hat uns sehr miteinander verbunden. Julot war Spezialist für Holzhämmer, daher sein Spitzname »der Mann mit dem Hammer«. Er fuhr bei hellichtem Tag, wenn der schönste Schmuck in den Schaufenstern lag, im Wagen bei einem Juwelenhändler vor. Der Wagen, der von einem anderen chauffiert wurde, hielt mit laufendem Motor. Julot, der mit einem schweren Holzhammer ausgerüstet war, stieg rasch aus, zertrümmerte mit einem Schlag die Auslagenscheibe, ergriff soviel Schmuck wie möglich und stieg wieder in den Wagen, der mit Vollgas davonraste. Nachdem ihm das in Lyon, Angers, Tours und Le Havre gelungen war, wagte er sich an ein ganz großes Schmuckgeschäft in Paris, wo er um drei Uhr nachmittags Schmuck für fast eine Million ergatterte. Er hat mir nie erzählt, wieso und wie man ihn identifiziert hatte. Er wurde zu zwanzig Jahren verurteilt und brach gegen Ende des vierten aus. Er begab sich nach Paris und suchte seinen Hehler auf, um ihn zu ermorden, weil er seiner Schwester nie das viele Geld gab, das er ihm schuldete. Der Hehler sah ihn durch die Straße gehen, in der er wohnte, und verständigte die Polizei. Julot wurde zum zweitenmal gefaßt und mit uns ins Bagno zurückgeschickt.
Wir liegen bereits eine Woche im Spital. Gestern habe ich Chatal zweihundert Franc gegeben, das ist der Wochenpreis für Dega und mich. Um uns beliebt zu machen, verschenken wir Tabak an solche, die keinen haben. Ein Sträfling von sechzig Jahren, ein Mann aus Marseille namens Carora, hat mit Dega Freundschaft geschlossen. Er ist sein Berater. Mehrmals am Tage schärft er ihm ein, daß man es im Dorf genau weiß, wenn einer viel Geld hat, weil man ja aus den französischen Zeitungen alle großen Affären kennt, und daß es für Dega besser wäre, nicht zu fliehen, weil die Freigelassenen ihn töten würden um seinen Stöpsel zu stehlen. Dega berichtete mir von seinen Gesprächen mit dem alten Carora, und wenn ich ihm auch sage, daß der Alte gewiß zu nichts taugt, weil er schon zwanzig Jahre hier ist, er hört nicht auf mich. Dega ist sehr beeindruckt von dem Geschwätz des Alten, und es kostet mich Mühe, ihn eines Besseren zu belehren.
Ich lasse Sierra einen Zettel zustecken, er möchte mir Galgani schicken. Am nächsten Tag ist Galgani im Spitalstrakt, in einem Saal ohne Gitter. Wie soll ich es nur anstellen, daß er seinen Stöpsel endlich zu sich nimmt? Ich teile Chatal, unter dem Vorwand, daß es sich um die Vorbereitung zur Flucht handle, mit, ich müsse dringend mit Galgani sprechen. Chatal sagt, daß er ihn genau fünf Minuten vor zwölf zu mir schicken kann. Er wird ihn um die Zeit der Wachablöse auf die Veranda hinausschicken, von dort aus kann er am Fenster mit mir reden. Es kostet nichts.
Richtig kommt Galgani zu Mittag ans Fenster, und ich drücke ihm wortlos den Stöpsel in die Hand. Er schaut zu mir auf und weint. Zwei Tage danach erhalte ich von ihm eine Zeitschrift, in der fünf Tausendfrancscheine stecken. An den Rand der Seite ist ein einziges Wort gekritzelt: »Danke.«
Chatal, der mir das Magazin überbrachte, hat das Geld gesehen. Er spricht nicht darüber, aber ich möchte ihm etwas anbieten. Er lehnt ab.
»Wir wollen fort von hier. Möchtest du mithalten?«
»Nein, Papillon. Ich möchte die Flucht erst in fünf Monaten versuchen, wenn mein Kamerad freigelassen wird. Ich hab’s ihm versprochen. Meine Flucht wird besser vorbereitet und sicherer sein. Ich verstehe, daß du es eilig hast, weil du interniert bist… aber hier, bei den Eisengittern, wird das sehr schwer sein. Rechne nicht mit meiner Hilfe, ich will meine Stelle nicht riskieren. Hier kann ich ruhig abwarten, bis mein Freund herauskommt.«
»In Ordnung, Chatal. Man muß
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