Papillon
in die Zellen des Strafquartiers, wo sie den Transport auf die lies du Salut abwarten. Dort werden sie lebenslänglich interniert. Diese Inseln liegen fünfhundert Kilometer von Saint-Laurent und hundert Kilometer von Cayenne entfernt und heißen: Ile Royal, die Königsinsel, Saint-Joseph, das ist die größte, auf der sich das Zuchthaus des Bagnos befindet, und Diable, die Teufelsinsel, die kleinste von allen. Die Bagnosträflinge kommen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht auf die Teufelsinsel. Die Männer dort sind politische Sträflinge.
Die Gefährlichen zweiten Grades bleiben auf dem Festland in Saint-Laurent und werden zu Garten- und Landarbeiten herangezogen. Wenn nötig, werden sie in härtere Arbeitslager geschickt: Forestier, Charvin, Cascade, Rote Grube und Kilometer 42, das sogenannte Todeslager. Die normalen Sträflinge verteilt man auf die Verwaltung. Sie kommen in die Küchen, zur Straßenreinigung, in die Tischlerei, in die Maler- und Schmiedewerkstätten, zu Elektroinstallateuren, Tapezierern, Schneidern, in die Wäschereien und so weiter.
Angenommen, wir kommen an«, erklärt uns Julot, »man wird aufgerufen und in eine Zelle gelegt. Das heißt dann, daß man auf den Inseln interniert wird, wo es keine Hoffnung auf Flucht gibt. Die einzige Chance wäre, sich schnell zu verwunden, sich in die Knie oder in den Bauch zu schneiden, um ins Spital zu kommen und dann von dort aus zu fliehen. Man muß also um jeden Preis vermeiden, auf den Inseln zu landen. Noch eine Hoffnung gibt’s: Wenn das Schiff, das die Internierten auf die Inseln bringen soll, noch nicht da ist, muß man dem Krankenwärter Geld anbieten, damit er einem eine Terpentininjektion ins Gelenk macht. Oder er verpaßt dir eine Infektion, indem er dir ein in Urin getauchtes Haar ins Fleisch steckt. Oder er läßt dich Schwefeldampf inhalieren, und du kannst dem Arzt sagen, du hast vierzig Grad Fieber. Während der Wartezeit muß man um jeden Preis ins Spital… Wird man aber nicht aufgerufen und bleibt mit den anderen zusammen in den Lagerbaracken, dann kann man sich Zeit lassen. In dem Fall muß man den Quartiermeister bestechen, um im Dorf eine Stelle als Abortreiniger zu bekommen oder als Straßenkehrer, oder man kommt in die Sägemühle eines privaten Unternehmers. Wenn man nämlich außerhalb der Strafanstalt arbeitet und abends ins Lager zurückkommt, hat man Zeit, im Dorf mit Freigelassenen in Kontakt zu kommen oder mit Chinesen, die einem zur Flucht verhelfen. Die Lager, die um das Dorf herum sind, muß man meiden, dort krepiert man schnell. Da gibt es welche, in denen man keine drei Monate durchhält. Im Busch müssen sich die Männer verpflichten, täglich einen Kubikmeter Holz zu schneiden.«
Diese wertvollen Aufschlüsse hat Julot uns während der Reise immer wieder vorgekaut. Er selber ist gewappnet. Er weiß, daß er als gefaßter Flüchtling direkt in Einzelhaft kommt, und hat in seinem Stöpsel ein winziges Federmesser, mit dem er sich bei der Ankunft die Knie aufschneiden will. Wenn er von Bord geht, wird er sich vor aller Augen den Landungssteg hinunterfallen lassen, um vom Pier weg direkt ins Spital zu kommen.
Und genauso hat sich das dann auch abgespielt.
Saint-Laurent-du-Maroni
Die Aufseher werden abgelöst, um sich umkleiden zu können. Sie kehren in weißer Uniform mit einem Tropenhelm statt des Käppis zurück. »Wir kommen an!« sagt Julot. Die Luken sind geschlossen, die Hitze ist fürchterlich. Draußen zieht der Busch vorüber. Also müssen wir auf dem Maroni sein. Das Wasser ist schlammig. Vögel fliegen aus den jungfräulichen grünen Wäldern auf, von der Sirene des Dampfers aufgescheucht. Wir fahren sehr langsam, was uns erlaubt, die üppig wuchernde geheimnisvolle Vegetation mit Muße zu studieren. Die ersten Holzhäuser mit ihren Wellblechdächern tauchen auf. Schwarze stehen mit ihren Frauen vor den Türen und schauen. Sie sind an den Anblick der Schiffe mit ihren Menschenladungen gewöhnt und geben uns kein Willkommenszeichen. Drei Sirenenstöße und der Lärm der Schiffsschraube verkündigen den Beginn des Anlegemanövers. Auf einmal wird alles totenstill, man könnte eine Stecknadel fallen hören. Julot hat sein Messer hervorgeangelt, hat es geöffnet, und schlitzt sich jetzt damit in der Kniegegend die Hosennähte auf. Das Knie darf er sich erst an Deck aufschneiden, um ja keine Blutspur zu hinterlassen. Die Aufseher öffnen die Tür unseres Käfigs, und wir nehmen in Dreierreihen Aufstellung. Wir
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