Papillon
»Los Angeles«, »Boston«, »Quebec«. Daneben die Frachter »Hamburg«, »Amsterdam«, »London«, und den ganzen Kai entlang, dicht aneinandergedrängt, gibt es Bars, Kabaretts, Restaurants, vollgestopft mit Menschen, die essen, trinken, sich laut miteinander unterhalten oder singen. Plötzlich verspüre ich einen unwiderstehlichen Drang, mich unter diese Menge zu mischen, unter die Leute, die vielleicht vulgär, aber voller Leben sind.
Die Terrasse einer Bar, vor der Eis, Austern, Seeigel, Krebse, Muscheln und allerlei Meerestiere ausgestellt sind, fordert den Vorübergehenden geradezu heraus. Die Tische mit den rot-weiß-karierten Tischtüchern, die meisten sind schon besetzt, laden zum Bleiben ein.
Mädchen mit hellbrauner Haut und feinem Profil, Mulattinnen, die keine negroiden Züge mehr haben, in wohlgeformten bunten Miedern mit großem Ausschnitt, reizen einen noch mehr, von dem allen da Gebrauch zu machen.
Ich gehe auf eine von ihnen zu. »French money good?« frage ich und zeige ihr einen Tausendfrancschein.
»Yes, I change for you.«
»Okay.«
Sie nimmt den Schein, verschwindet in dem gesteckt vollen Saal und kommt wieder zurück. »Come here«, und sie führt mich an die Kasse, an der ein Chinese sitzt.
»Sie Franzose?«
»Ja.«
»Wechseln tausend Franc?«
»Ja.«
»In antillische Dollar?«
»Ja.«
»Reisepaß?«
»Habe keinen.«
»Marineausweis?«
»Auch nicht.«
»Einwanderererlaubnis?«
»Auch nicht.«
»Gut.« Er sagt dem Mädchen zwei Worte, es schaut in den Saal, geht zu einem Mann mit einer Marinekappe wie der meinen, mit Goldborte und Anker und bringt ihn an die Kasse.
»Deine Identitätskarte?« sagt der Chinese.
»Hier.« Der Chinese stellt kaltblütig eine Wechselbestätigung über tausend Franc auf den Namen des Unbekannten aus, läßt diesen unterschreiben, und das Mädchen nimmt den Seemann beim Arm und führt ihn an den Tisch zurück. Der weiß gar nicht, wie ihm geschieht! Ich nehme die zweihundertfünfzig Dollar in Scheinen zu fünfzig, zu ein und zwei Dollar und gebe dem Mädchen einen Dollar. Dann gehen wir hinaus, Maturette und ich, setzen uns an einen Tisch und geben uns einer Freßorgie mit Meerestieren und köstlichem herbem Weißwein hin.
Viertes Heft: Erste Flucht
Trinidad
Ich sehe diese erste freie Nacht in jener englischen Stadt vor mir, als ob es gestern gewesen wäre.
Berauscht von dem Licht, von der Wärme in unseren Herzen, angesteckt von der lachenden Menge, die vor Vergnügen überströmt, gingen wir überall hin. Eine Bar voller Matrosen und jenen Mädchen aus den Tropen, die nur darauf passen, sie zu rupfen. Aber diese Mädchen haben nichts Gemeines an sich, sind mit den Frauen der Unterwelt von Paris, Le Havre oder Marseille nicht zu vergleichen. Ihre Gesichter sind nicht so geschminkt und vom Laster gezeichnet, ihre Augen blicken nicht so gierig und tückisch. Es sind Mädchen aller Hautfarben: Chinesinnen, afrikanische Negerinnen, Mädchen aus Java, deren Eltern in den Kakao-oder Zuckerplantagen arbeiten, zart, schokoladebraun, mit glattem Haar, Mestizen, Indiomädchen mit der Goldmuschel in der Nase, Llapaninnen mit ihrem römischen Profil, ihren kupferfarbenen Gesichtern und den riesigen, funkelnden, schwarzen, langbewimperten Augen; sie strecken ihre tief dekolletierten Brüste vor, als wollten sie sagen: Seht sie euch nur an, wie vollendet sie sind!
Alle diese Mädchen, jedes mit einer andersfarbigen Blume im Haar, leben der Liebe, fordern die Lust am Geschlecht heraus, ohne schmutzig, ohne je geschäftsmäßig zu werden. Sie erwecken niemals den Eindruck, zu arbeiten – sie unterhalten sich wirklich, und man spürt, daß das Geld für sie nicht der Hauptzweck des Lebens ist.
Wie zwei Motten, die ins Licht fliegen, taumeln wir beide, Maturette und ich, von einer Bar zur andern. Wir kommen an einen kleinen lichtüberstrahlten Platz, und ich sehe an der Turmuhr einer Kirche oder eines Tempels, wie spät es ist. Zwei Uhr! Es ist zwei Uhr früh! Schnell, schnell, wir müssen umkehren! Wir haben uns in der Zeit vertan! Der Hauptmann der Heilsarmee wird eine schöne Meinung von uns bekommen! Ich halte ein Taxi an, das uns für zwei Dollar ins Hotel fährt. Ich zahle, und tief beschämt betreten wir die Halle.
Hier empfängt uns freundlich ein weiblicher Soldat der Heilsarmee, blond und sehr jung, zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Sie scheint weder verwundert noch empört darüber, daß wir so spät nach Hause kommen. Nach ein paar
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