Papillon
für unser Gefühl Verständnis, denn sie sagen beide gleichzeitig: »Da sind Sie wieder in Ihrem Haus, liebe Freunde. Machen Sie es sich bequem!« Und anstatt mit »Herr« reden sie uns mit unseren Vornamen an: »Henri, reichen Sie mir den Zucker! – André (Maturette heißt Andre), noch etwas Pudding?«
Madame und Mademoiselle Bowen, ich hoffe, daß Gott Ihnen die große Güte vergelten wird, die Sie uns zukommen ließen, und daß die Seelengröße, die Sie uns gegenüber in so reichem Maße bewiesen haben, Ihnen in Ihrem übrigen Leben uneingeschränktes Glück bringen möge.
Vor einer auf dem Tisch ausgebreiteten Landkarte diskutieren wir mit den Damen. Die Entfernungen sind groß: tausendzweihundert Kilometer bis zum ersten kolumbianischen Hafen, Santa Marta; zweitausendeinhundert Kilometer bis Panama, zweitausendfünfhundert bis Costa Rica.
Master Bowen kommt heim. »Ich habe sämtliche Konsulate angerufen und eine gute Neuigkeit für Sie«, sagt er. »Sie können ein paar Tage in Curacao verbringen und sich dort erholen. In Kolumbien gibt es keine Bestimmungen bezüglich Entsprungener. Dem Konsul ist nicht bekannt, daß Entsprungene jemals in Kolumbien landeten. In Panama übrigens auch nicht.«
»Ich weiß ein Land, wo Sie sicher wären«, sagt Margaret, die Tochter Bowens. »Aber das ist sehr weit weg, mindestens dreitausend Kilometer.«
»Wo ist das?« fragt ihr Vater sie.
»Britisch-Honduras. Der Gouverneur dort ist mein Taufpate.«
Ich sehe meine Freunde an und sage: »Auf nach Britisch-Honduras!« Das ist eine englische Besitzung, die im Süden an die Republik Honduras und im Norden an Mexiko grenzt.
Wir verbringen den Nachmittag damit, gemeinsam mit Margaret und ihrer Mutter die Route festzulegen.
Erste Etappe: Trinidad Curacao, tausend Kilometer. Zweite Etappe: von Curacao bis zu irgendeiner Insel unterwegs. Dritte Etappe: Britisch-Honduras.
Da man nie wissen kann, was einem auf See zustößt, wird entschieden, daß wir zu den Vorräten, die uns die Polizei geben will, in einer Extrakiste zusätzlich noch einige Konserven mitnehmen: Fleisch, Gemüse, Marmelade, Fisch. Margaret sagt, daß uns der Supermarkt Salvatori die Konserven mit Vergnügen zum Geschenk machen wird. »Und falls sie es nicht tun«, setzt sie hinzu, »werden Mama und ich sie Ihnen besorgen.«
»Nein, Mademoiselle …«
»Still, Henri!«
»Nein, es ist ausgeschlossen, wir haben doch Geld. Wir werden Ihre Güte doch nicht mißbrauchen. Wir können uns die Lebensmittel sehr gut selber kaufen.«
Das Boot liegt unter dem Schutz der Kriegsmarine in Port of Spain. Beim Abschied versprechen wir, vor unserer Abreise noch einmal zu kommen. Jeden Abend gehen wir pünktlich um elf Uhr aus. Clousiot setzt sich auf eine Bank des belebtesten Platzes, und Maturette und ich leisten ihm abwechselnd Gesellschaft, während der andere durch die Stadt vagabundiert. Wir sind schon zehn Tage hier. Clousiot kann dank des Eisens an seinem Gipsfuß ohne Schwierigkeiten gehen. Wir fahren mit der Straßenbahn zum Hafen, in den wir oft auch nachmittags gehen. In verschiedenen Bars kennt man uns bereits. Die Gardepolizisten grüßen uns, und alle wissen, wer wir sind und woher wir kommen. Nie macht irgendwer eine Anspielung darauf. Wir haben entdeckt, daß die Bars, in denen wir bekannt sind, uns für Essen und Trinken weniger berechnen als den Seeleuten. Dasselbe ist bei den Mädchen der Fall. Gewöhnlich trinken sie, wenn sie sich zu Matrosen, Offizieren oder Touristen an den Tisch setzen, ununterbrochen und suchen sie zu möglichst großen Ausgaben zu verleiten. In den Tanzbars tanzen sie nicht, bevor man ihnen nicht mehrere Gläser angeboten hat. Uns gegenüber aber verhalten sie sich anders. Sie setzen sich lange zu uns, und man muß sie nötigen, etwas zu trinken. Und wenn sie annehmen, dann bestellen sie nicht etwa Cognac oder Whisky, sondern einfach ein Glas Bier. Das alles macht uns viel Freude, denn man gibt uns auf diese indirekte Art zu verstehen, daß man unsere Lage kennt und mit uns mitfühlt.
Das Boot ist frisch gestrichen und um eine zehn Zentimeter breite Planke erhöht worden. Der Kiel ist gesichert und überholt. Keine Rippe im Inneren hat gelitten, das Boot ist intakt. Der Mast ist durch einen längeren, aber leichteren ersetzt, Fock und Klüver sind nicht mehr aus Mehlsäcken, sondern aus festem ockerfarbenem Leinen. Ein Marinekapitän hat mir einen Kompaß mit einer Windrose gegeben und mir erklärt, wie ich mit Hilfe der
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