Papillon
zwei oder drei Gefangene. Ich werde von allen Seiten gerufen.
»Frances, Frances! Que a hecho? Por que esta aqui? – Was hast du ausgefressen? Warum bist du hier?
Weißt du, daß du hier in den Todeszellen bist?«
»Haltet das Maul! Laßt
ihn
reden!« schreit einer.
»Ja, ich bin Franzose«, sage ich laut. »Ich bin hier, weil ich aus dem Gefängnis von Rio Hacha ausgebrochen bin.« Mein spanisches Kauderwelsch wird von allen sehr gut verstanden.
»Hör zu, Franzose, hinten in deiner Zelle liegt ein Brett, das ist deine Schlafstelle. Rechts davon steht eine Dose Wasser. Verschütte es nicht, man bekommt nur sehr wenig jeden Morgen, und du kannst keines nachverlangen. Links davon ist ein Eimer, die Toilette. Deck ihn mit deiner Jacke zu, du brauchst die Jacke nicht, es ist viel zu heiß, deck lieber den Eimer zu, damit es weniger stinkt. Wir decken alle den Eimer mit unseren Sachen zu.«
Ich gehe ans Gitter, um ihre Gesichter zu sehen. Nur die zwei gegenüber, die sich ans Gitter pressen und ihre Beine durch die Stäbe schieben, kann ich genau ausnehmen. Der eine ist der Typ des spanisierten Indianers, wie die Polizisten, die mich in Rio Hacha verhaftet haben, der andere ist ein sehr heller Neger, ein hübscher junger Kerl. Der Neger gibt mir zu verstehen, daß bei jeder Flut das Wasser in den Zellen hochsteigt. Ich soll darüber nicht erschrecken, denn es steigt nie höher als bis zum Bauch. Die Ratten, die über mich hinwegklettern werden, soll ich nicht packen, sondern ihnen nur einen Schlag versetzen. Niemals soll ich sie anfassen, wenn ich nicht von ihnen gebissen werden will.
»Seit wann bist du hier unten?« frage ich.
»Seit zwei Monaten.«
»Und die andern?«
»Keiner länger als drei Monate. Wer nach drei Monaten nicht hier rauskommt, muß sterben.«
»Und wer ist am längsten hier?«
»Einer ist schon acht Monate da, aber der ist schon am Ziel. Seit einem Monat kann er sich nur noch aufknien, aufstehen kann er nicht mehr. Wenn eine stärkere Flut kommt, muß er ertrinken.«
»Wo bist du her? Von den Wilden?«
»Ich hab nie noch behauptet, daß mein Land zivilisiert ist. Aber deines ist nicht viel zivilisierter, wenn du Lebenslänglich bekommen hast. Hier in Kolumbien gibt es nur zwanzig Jahre oder Todesstrafe.
Lebenslänglich gibt es nicht.«
»Das kommt auf eins hinaus.«
»Hast du viele getötet?«
»Nein, nur einen.«
»Das ist nicht möglich. Man kriegt nicht so viel für einen.«
»Glaube mir, es ist so!«
»Da siehst du, daß dein Land genauso wild ist wie meines!«
»Gut, reden wir nicht mehr davon, du hast recht.
Die Polizei ist überall Scheißdreck. Und du, was hast du getan?«
»Ich habe einen Mann getötet, seinen Sohn und seine Frau.«
»Warum?«
»Sie haben meinen kleinen Bruder einem Schwein zum Fressen gegeben.«
»Unmöglich! Das ist ja grauenhaft!«
»Mein kleiner fünfjähriger Bruder hat ihr Kind täglich mit Steinen beworfen, und das Kind ist mehrere Male am Kopf verwundet worden.«
»Das ist doch noch kein Grund …«
»Das habe ich auch gesagt, als ich es erfahren habe.«
»Wie hast du es denn erfahren?«
»Mein kleiner Bruder war seit drei Tagen verschwunden, und als ich ihn suchte, habe ich eine Sandale von ihm im Dunghaufen gefunden. Der Dunghaufen war aus dem Stall, wo das Schwein war. Ich durchsuche ihn und finde einen blutigen weißen Socken. Da wußte ich, was los war. Die Frau hat gestanden. Ich habe sie ihr Gebet sprechen lassen, bevor ich schoß. Beim ersten Schuß habe ich die Füße des Vaters zerfetzt.«
»Da hast du recht getan. Was wird man dir geben?«
»Zwanzig Jahre, höchstens.«
»Und warum bist
du
hier unten?«
»Ich habe einen Polizisten geschlagen, der aus derselben Familie stammt wie diese Leute. Er war hier im Gefängnis. Man hat ihn versetzt. Seit er nicht mehr da ist, habe ich Ruhe.«
Die Tür zum Gang wird geöffnet. Ein Wärter mit zwei Gefangenen kommt herein. Die Gefangenen tragen an zwei Holzstangen ein Holzfaß. Hinter ihnen im Dunkel stehen noch zwei Wärter, mit dem Gewehr in der Hand. Die Gefangenen holen aus allen Zellen die Eimer heraus, die als WC dienen, und leeren sie in das Faß. Die Luft ist bis zum Ersticken mit dem Gestank von Urin und Scheiße verpestet. Kein Wort fällt. Als sie bei mir ankommen, läßt der, der den Eimer nimmt, ein kleines Paket zur Erde fallen. Rasch stoße ich es mit dem Fuß ins Dunkle. Als sie draußen sind, finde ich in dem Paket zwei Päckchen Zigaretten, ein Feuerzeug mit
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