Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
Vom Netzwerk:
besser als die übrigen Indivi duen irgendeiner Gemeinschaft oder irgendeines Landes.
    Ich rauche. Das Wasser beginnt zu steigen. Es reicht mir fast an die Knöchel. »Schwarzer«, rufe ich, »wie lange steht das Wasser in der Zelle?«
    »Das hängt von der Stärke der Flut ab. Eine Stunde, höchstens zwei.«
    »Esta llegando! – Sie kommt!« höre ich mehrere Gefangene rufen.
    Langsam, ganz langsam steigt das Wasser. Der Indianermischling und der Schwarze haben sich oben auf das Gitter gesetzt. Sie lassen die Beine in den Gang hängen und halten sich an den Eisenstäben fest. Ich höre es plätschern. Eine Kanalratte, groß wie eine Katze! Sie versucht das Gitter hinaufzuklettern. Ich ergreife einen meiner Schuhe und gebe ihr, als sie in meine Nähe kommt, einen kräftigen Schlag auf den Kopf. Quiekend entflieht sie in den Gang.
    »Du gehst auf die Jagd, Franzose?« sagt der Schwarze. »Mit denen wirst du nie fertig werden, wenn du sie töten willst. Klettere das Gitter hinauf und verhalte dich ruhig.«
    Ich befolge seinen Rat, aber die Stäbe graben sich mir in die Schenkel, ich kann es nicht lange aushaken.
    Ich hole mir die Jacke von meinem Abtrittseimer, lege sie auf die Gitterstäbe und lasse mich darauf herunter.
    Das ergibt eine Art Sitz, der es mir ermöglicht, die Stellung besser zu ertragen.
    Dieses Eindringen des »Wassers, der Ratten, der Tausendfüßler und winzigen Krabben, die vom Wasser mitgeschwemmt werden, ist das Widerwärtigste, das Niederdrückendste, dem ein menschliches Wesen ausgesetzt werden kann. Wenn sich das Wasser nach einer Stunde zurückzieht, bleibt eine klebrige, einen Zentimeter dicke Schlammmasse zurück. Ich ziehe mir die Schuhe aus, um nicht in den Morast zu treten.
    Der Schwarze wirft mir ein zehn Zentimeter langes Brettchen zu und rät mir, damit zuerst den Kot von meiner Schlafplanke herunter und auf den Gang zu schieben, dann den aus der übrigen Zelle. Ich brauche zu dieser Beschäftigung eine gute halbe Stunde und zwinge mich, dabei an nichts anderes zu denken. Das will etwas heißen! Vor der nächsten Flut werde ich kein Wasser im Käfig haben, das macht genau elf Stunden, die zwölfte ist dann die der Überschwemmung. Bis zum nächsten neuen Wasser muß man die sechs Stunden rechnen, in denen sich das Meer zurückzieht, und die fünf Stunden, in denen es wieder steigt.
    Ja, Papillon, du hast es jetzt, scheint’s, mit den Gezeiten des Meeres zu tun, verspotte ich mich selbst. Der Mond ist von großer Bedeutung für dich und dein Leben, ob du willst oder nicht. Dank Ebbe und Flut konntest du den Maroni herunterfahren, als du aus dem Bagno ausbrachst. Dank Ebbe und Flut konntest du aus Trinidad und Curacao fort. Wenn man dich in Rio Hacha verhaftete, so nur, weil die Ebbe nicht stark genug war, dich schneller davonzutragen. Und jetzt bist du eben dauernd auf die Gnade der Gezeiten angewiesen!
    Unter den Lesern dieser Blätter, falls sie, wie gesagt, eines Tages verlegt werden sollten, werden sich vielleicht welche befinden, die ein wenig Mitleid mit mir haben werden, wenn sie lesen, was ich in den Zellen von Kolumbien mitmachen mußte. Es sind gute Menschen. Die andern, die Vettern der zwölf Käsegesichter, die mich verurteilt haben, oder die Brüder des Staatsanwalts werden sagen: Geschieht ihm recht, wäre er im Bagno geblieben, dann wäre ihm das alles nicht passiert. – Auch gut. Soll ich Ihnen einmal etwas sagen?
    Den Guten wie den Käsegesichtern? Ich bin nicht verzweifelt, ganz und gar nicht, und ich möchte fast sagen: Ich bin lieber in den Zellen der alten, von der spanischen Inquisition erbauten kolumbischen Festung als auf den »Inseln des Heils«, wo ich zur Zeit eigentlich sein müßte. Hier habe ich noch viele Möglichkeiten zu einem neuen Fluchtversuch, und selbst in diesem Moderloch hier bin ich immer noch zweitausendfünfhundert Kilometer vom Bagno entfernt. Und wenn man mich die wirklich noch einmal in Richtung Bagno zurücklegen lassen will, wird man verdammt vorsichtig und wachsam zu Werke gehen müssen. Ich bedaure nur eines: daß ich meinen Goajiros untreu geworden bin, die zwar die Bequemlichkeiten der Zivilisation nicht kennen, dafür aber auch keine Polizei, kein Gefängnis, und schon gar nicht Todeszellen. Ich muß daran denken, daß meinen Wilden niemals der Gedanke gekommen wäre, einem Feind eine solche Strafe aufzuerlegen, um wieviel weniger einem Menschen wie mir, der sich niemals gegen die Kolumbier vergangen hat.
    Ich lege mich hinten

Weitere Kostenlose Bücher