Papillon
Seitenplanke und blicke den Nonnen über die Schulter. Man sieht mich nur im Profil. Ich habe den Hut tief ins Gesicht gedrückt, aber nicht zu tief, man soll nichts übertreiben.
»Como estan todos por aqui? – Wie geht es euch allen?« wiederholt die gute spanische Nonne. »Muy bien, Hermanas, Y como viajan tan tarde? – Sehr gut, Schwestern. Warum reisen Sie so spät?«
»Por una urgenzia, por eso no me detengo. Somos muy apuradas. – Wegen einer dringenden Sache. Halten Sie uns, bitte, nicht auf, wir haben es sehr eilig.«
»Vajanse con Dios, Hermanas. – Fahren Sie mit Gott, Schwestern!«
»Gracias, hijos. Que Dios les protege. – Danke, Kinder. Gott schütze euch.«
»Amen«, sagen die Polizisten.
Und ohne eine weitere Frage fahren wir ruhig davon. Die Aufregungen der letzten Minuten mußten den guten Schwestern Bauchweh verursacht haben, denn hundert Meter weiter lassen sie den Wagen halten.
Sie steigen beide aus und verschwinden kurz im Gebüsch. Dann geht es weiter. Ich bin so gerührt, daß ich mich, als die Irländerin wieder einsteigt, bei ihr bedanke.
»Nichts zu danken«, sagt sie. »Wir haben nur solche Angst gehabt, daß wir Bauchschmerzen davon bekamen.«
Gegen Mitternacht kommen wir im Kloster an. Eine hohe Mauer, ein hohes Tor. Der Kutscher versorgt Pferde und Wagen, und die drei kleinen Mädchen werden ins Kloster gebracht. Auf der Treppe im Hof entspinnt sich ein hitziges Wortgefecht zwischen der Schwester Pförtnerin und den beiden Nonnen. Die Irländerin erklärt mir, daß sie die Mutter Oberin nicht wecken will, um sie um die Genehmigung zu bitten, daß ich im Kloster schlafen darf. In diesem Moment mangelt es mir an Entschlußkraft, diesen Zwischenfall zu nützen, mich zu bedanken und zu Fuß nach Santa Marta zu gehen. Ich wußte doch, daß es nur noch acht Kilometer waren.
Schließlich wurde die Mutter Oberin doch geweckt. Ich erhalte ein Zimmer im zweiten Stock. Vom Fenster aus sind die Lichter der Stadt zu sehen. Ich kann den Leuchtturm und die Positionslichter erkennen. Im Hafen fährt eben ein großes Schiff aus.
Ich schlafe ein, und die Sonne steht schon am Himmel, als es an meine Tür klopft. Ich hatte einen scheußlichen Traum: Lali öffnete sich vor mir den Bauch, und unser Kind kam stückweise daraus hervor.
Ich rasiere mich und ziehe mich rasch an. Dann gehe ich hinunter. Am Fuß der Treppe steht die irländische Schwester und begrüßt mich mit freundlichem Lächeln.
»Guten Morgen, Henri. Haben Sie gut geschlafen?«
»Ja, Schwester.«
»Bitte, kommen Sie in das Büro der Oberin, sie will Sie sehen.« Wir treten ein. Eine Frau von ungefähr fünfzig Jahren oder mehr, mit überaus strengem Gesicht, sitzt hinter dem Schreibtisch. Sie sieht mich aus ihren schwarzen Augen ohne jedes Wohlwollen an.
»Senor, sabe usted hablar espanol? – Sprechen Sie Spanisch, mein Herr?«
»Muy poco. – Sehr wenig.«
»Bueno, la Hermana va servir de interprete. – Gut, die Schwester wird den Dolmetsch machen… Sie sind Franzose, wie man mir sagte?«
»Ja, ehrwürdige Mutter.«
»Sie sind aus dem Gefängnis von Rio Hacha entsprungen?«
»Ja, ehrwürdige Mutter.«
»Wie lange ist das her?«
»Ungefähr sieben Monate.«
»Was haben Sie während dieser Zeit getrieben?«
»Ich war bei den Indianern.«
»Was? Bei den Goajiros? Das gibt es nicht. Die Wilden lassen doch niemanden in ihr Gebiet hinein. Nicht einmal ein Missionar hat zu ihnen Zutritt. Diese Antwort akzeptiere ich nicht. Wo waren Sie? Sagen Sie die Wahrheit?«
»Ich war bei den Indianern, Mutter Oberin, ich habe Beweise.«
»Was für Beweise?«
»Von den Indianern gefischte Perlen.« Ich ziehe den Beutel heraus, der innen am Futter meiner Weste angenadelt ist, und reiche ihn der Oberin. Sie öffnet ihn und nimmt eine Handvoll Perlen heraus.
»Wieviel Perlen sind es?«
»Das weiß ich nicht. Fünf- bis sechshundert vielleicht. So ungefähr.«
»Das ist kein Beweis. Sie können sie woanders gestohlen haben.«
»Wenn Sie es wünschen, bleibe ich zur Beruhigung Ihres Gewissens so lange hier, bis Sie sich erkundigt haben, ehrwürdige Mutter, ob es irgendwo einen Perlendiebstahl gegeben hat. Ich habe Geld. Ich könnte für meinen Aufenthalt hier bezahlen. Ich verspreche Ihnen, mich so lange nicht aus meinem Zimmer zu rühren, bis Sie es mir gestatten.«
Sie sieht mich fest an. Mir kommt der Gedanke, daß sie sich fragen muß: Und wenn du entfliehst? Du bist aus dem Gefängnis ent flohen, von hier aus
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