Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
des italienischen Faschismus, mit dem man 1929 in den Lateranverträgen zu einer Verständigung gekommen war, umgehen zu können? Unterschätzte man aufgrund der «guten» Erfahrung mit dem Diktator Mussolini den Diktator Hitler? War der «Pakt mit dem Teufel», dem die Sorge um das Seelenheil der Gläubigen als oberstes Prinzip zugrunde lag, letztlich verantwortlich für das «Schweigen» Roms zur Verfolgung und systematischen Ermordung von Millionen von Juden durch die Nationalsozialisten? Gingen gar traditioneller kirchlicher Antijudaismus und moderner Rassenantisemitismus – zumindest indirekt – eine unheilige Allianz ein? Oder wollte Pius XI. den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, indem er mit den «braunen» Machthabern in Berlin einen Vertrag schloß, um ein Bollwerk zum Schutz Europas vor dem russischen Kommunismus zu errichten? Und spezieller: Was bedeuten die deutschen Erfahrungen des Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli, der nicht weniger alszwölf Jahre in der entscheidenden Phase von 1917 bis 1929 als Nuntius in München und Berlin tätig war, für seine Einschätzung der Situation im Reich und für die vatikanische Deutschlandpolitik? Welche personellen Netzwerke hat er in seiner Zeit in Deutschland geknüpft? Lassen sich bestimmte Handlungsmuster des späteren Pius XII. gar auf deutsche Erfahrungen zurückführen? Hängt vielleicht sogar sein viel diskutiertes «Schweigen» zum Holocaust damit zusammen?
Diese und zahlreiche andere Fragen konnten bislang nur unzureichend beantwortet werden, weil die Forschung nicht hinter die Mauern des Vatikans blicken konnte. Zwar ermöglichten die öffentlichen und veröffentlichten Äußerungen und Handlungen von Papst und Kurie entscheidende Einsichten, und in zahlreichen staatlichen Archiven und Privatnachlässen tauchte äußerst interessantes Material auf. Aber die römische Zentralüberlieferung mit den Berichten der Nuntien, den Beratungsprotokollen der verschiedenen kurialen Kongregationen als vatikanischen Ministerien, die Akten des Heiligen Offiziums als oberster Glaubensbehörde, die Beratungen zwischen Kardinalstaatssekretär und Papst waren für diesen Zeitraum bislang verschlossen. Über die internen Diskussionen der Kurie konnte man daher nur spekulieren. Das Vatikanische Geheimarchiv schien seinem Namen wieder einmal alle Ehre machen zu wollen.
In den geheimen Archiven des Vatikans
Sollte letztlich Dan Brown also doch recht haben, der in seinem Thriller
Illuminati
beschrieb, wie es im Geheimarchiv aussieht und wer reinkommt und wer nicht?[ 16 ] «Das
Archivio Vaticano.
Einer von Robert Langdons Lebensträumen wurde wahr. … Langdon kannte keinen einzigen amerikanischen nichtkatholischen Gelehrten, dem Zutritt zu den Vatikanischen Geheimarchiven gewährt worden wäre. … Das Bild, das er sich im Lauf der Jahre von diesem Raum gemacht hatte, hätte unzutreffender nicht sein können. Langdon hatte sich staubige Bücherregale vorgestellt, die von alten, zerfledderten Folianten überquollen, Priester, die bei Kerzenlicht die Bestände katalogisierten, Bleiglasfenster und Mönche mit Federkielen überSchriftrollen … was nicht einmal annähernd der Wirklichkeit entsprach. Auf den ersten Blick erschien der Raum wie ein dunkler Flugzeughangar, in dem jemand ein Dutzend frei stehender Racquetballfelder mit gläsernen Wänden gebaut hatte. … Es waren Büchertresore, hermetisch gegen Feuchtigkeit und Wärme isoliert, luftdichte Kammern, die verhindern sollten, daß das alte Papier und Pergament noch weiter zerfiel.» Sie zu betreten, ist bei Dan Brown wegen des dort herrschenden Unterdrucks und des geringen Sauerstoffgehalts lebensgefährlich, wenn nicht von außen ein «fremder Bibliothekar die Sauerstoffzufuhr regulierte».
Dan Brown baut hier die perfekte Kulisse für einen spannenden Thriller. Nur leider muß man sagen: Das Bild, das sich Dan Brown vom Vatikanischen Geheimarchiv gemacht hat, könnte unzutreffender nicht sein. Die Szenerie ist nicht einmal gut erfunden. Das einzige, was stimmt, ist, daß für den Historiker, der in dieser einmaligen Sammlung arbeiten darf, tatsächlich ein Lebenstraum in Erfüllung geht. Das Vatikanische Geheimarchiv ähnelt einem Flugzeughangar jedoch so wenig wie einer gotischen Krypta. In den meisten Räumen stehen ganz normale, aber schier endlose Aktenregale, insgesamt über fünfundachtzig Kilometer. Der Zugang zum Vatikanischen Geheimarchiv wird keineswegs nur papsttreuen Katholiken erlaubt. Im
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