Para-Traeume
Sinn.
»Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.«
Und auf seltsam unwirkliche Weise hatte Jennifer das Gefühl, als würde er gar nicht zu ihr sprechen .
* Das Erwachen kam abrupt.
Jennifer fuhr in die Höhe, als würde sie aus einem Falltraum erwachen; einem dieser Nachmahre, in denen man den Schrecken erlebt, plötzlich ins Bodenlose zu fallen.
Sie brauchte fast eine Minute, um überhaupt in die Wirklichkeit zurückzufinden - in die nüchterne Realität ihres Ateliers. Sie mußte während einer Arbeitspause auf der Couch eingenickt sein - aber sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, sich überhaupt hingelegt zu haben.
Und dieser Traum .
Es war nicht der erste hocherotische Traum gewesen, der Jennifer mit diesem so unheimlichen wie faszinierenden Mann (Wesen!) verband. Aber so intensiv, so real wie diesmal ...?
Sie erhob sich, ging ein paar Schritte, um die verspannten Muskeln zu lockern, und blieb vor der auf einen Holzrahmen gespannten Leinwand stehen, die ihre momentane Arbeit zeigte. Unwillkürlich schauderte sie, als sie die Szene aus ihrem Traum betrachtete. Unwillkürlich schlug das Bild sie in seinen Bann.
Nie zuvor war Jennifer Sebree dermaßen fasziniert von einem ihrer eigenen Gemälde gewesen. Nie zuvor hatte sie mit größerem Eifer gemalt. Und nie perfekter.
Fast fotorealistisch war das Bild, und derart plastisch, daß man glauben konnte, hineingreifen zu können.
Hätte sie es gekonnt, hätte Jennifer samtweiche Haut gefühlt.
Ihre eigene.
Denn sie selbst war die junge Frau, die da in der Rückenansicht auf der Leinwand zu sehen war. Nackt, das dunkle Haar zurückgestrichen und über den Rücken fließend, und um den Hals die Kette, die ihre Mutter immer so gern getragen hatte. Mit geschlossenen Augen lehnte >Jennifer< sich an den halbbekleideten Mann, der sie um Haupteslänge überragen würde .
... wenn er erst fertiggemalt war.
Jennifer hielt inne, trat einen Schritt zurück und besah sich das unvollendete Werk.
Es war beklemmend. Sie hatte sich noch nie selbst in ein Bild eingebracht. Und nun hatte sie es gleich als Akt getan.
Was würden die Leute sagen, die das Gemälde sahen?
»Es ist wunderschön. Ich möchte es kaufen.«
Jennifer glaubte, eine frostige Hand würde ihr in die Brust greifen und sich um ihr Herz schließen. Eine Sekunde lang stand sie völlig starr, dann wirbelte sie herum.
Und erschrak noch einmal. »Mister Barlow?« entfuhr es ihr.
Der alte Mann lächelte. »Sie kennen mich?«
Jennifer nickte verwirrt. »Natürlich. Wer kennt ...?«
Sie hielt inne und sagte dann nach einer kurzen Pause: »Verzeihen Sie, es ist ... unhöflich von mir.«
Das Lächeln blieb unverändert in Barlows Gesicht, wie im Gesicht eines Toten.
»Nicht doch. Ich weiß, daß ... mich jeder in Salem's Lot kennt«, sagte er. »Obwohl ich mich nicht sehr oft sehen lasse. Nur wenn ich meine Besorgungen mache.«
Er hob die Einkaufstüte, die er im Arm hielt, ein bißchen an, als wollte er Jennifer damit deutlich machen, was er meinte.
»Sie waren noch nie hier in meinem Geschäft, nicht wahr?« fragte Jennifer, nur um irgend etwas zu sagen.
Sie fürchtete, ihr Unbehagen müßte ihr wie mit Leuchtfarbe auf die Stirn geschrieben sein. Sie kannte Barlow, der droben auf dem Hügel im alten Marstenhaus wohnte. Und sie kannte die Geschichten, die man sich über ihn erzählte.
Die meisten davon waren blanker Unsinn; Geschichten, mit denen man allenfalls kleine Kinder erschrecken konnte. Und als kleines Kind hatte Jennifer sie auch gehört - und nie vergessen .
Obwohl das Licht der Herbstsonne inzwischen durch das Schaufenster in ihr Atelier fiel und alles in warmgoldenen Schein tauchte, fröstelte die junge Malerin.
»Nein, aber ich bin schon oft draußen vorbeigegangen und habe ihre Bilder bewundert«, antwortete der alte Mann, der wie zufällig außerhalb der Lichtfülle stand, die durch die große Scheibe in den Raum ergoß. »Heute morgen bin ich stehengeblieben, und ich beobachte Sie schon eine ganze Weile .«
Die bloße Vorstellung ließ Jennifer schaudern.
»... und mir gefällt dieses Bild außerordentlich gut.« Barlow wies mit dem Kinn zur Staffelei, an der Jennifer eben noch gearbeitet hatte. »Wie gesagt: Ich möchte es kaufen.«
Der Gedanke, daß ein Aktgemälde von ihr selbst im Haus dieses Mannes hängen könnte, verursachte Jennifer Unwohlsein. Sie würde von ihm angestarrt werden, Tag und Nacht, und vielleicht würde sie
Weitere Kostenlose Bücher