Para-Traeume
mehr als eine Sekunde, um den Anblick der dazugehörenden Gestalt aufzunehmen, die ihm hinter der Tür aufgelauert hatte. Sie schien ihm auf abstoßende Weise verkrüppelt, kaum mehr menschlich in ihrer Form, und er wunderte sich, daß ihm der bestialische Gestank nicht schon beim Betreten des Hauses aufgefallen war.
Die Haut des anderen war trocken, rissig und rauh, erinnerte an hartgebackenen Sand - und sie zerbröselte, als sich der Auflösungsprozeß der Hand über den Arm hin fortsetzte. Schließlich sank die ganze Gestalt in sich zusammen. Nur die Kleidung blieb unversehrt und lag im Staub, zu dem das schauderhafte Wesen geworden war, wie achtlos hingeworfen.
Erst jetzt wurde Moses Pray auf die anderen Kleiderbündel aufmerksam, die im Raum verteilt lagen und über die sich ebenfalls flockiges Grau gebreitet hatte. Vier davon zählte er nach einem kurzen Rundblick.
Doch mehr noch beschäftigte ihn die Gestalt, die eben nach ihm gegriffen hatte. Ihr Anblick rührte an etwas, das - ebenfalls wie von Staub bedeckt - am Grund seines Gedächtnisses lag. Etwas, das sich zu regen begann, als hätte es nur auf den entscheidenden Impuls gewartet .
... und das übergangslos wieder erstarrte, als Moses Pray von neuem zusammenzuckte!
»Das war der letzte.«
*
Salem's Lot
Blut spritzte aus dem zuckenden Leib der Ratte, bis die Lippen des alten Mannes die Bißwunde völlig umschlossen.
Lilith hörte ihn schlürfen, und sie sah, daß seine Finger sich fester um den dunklen Körper schlossen, als wollten sie ihn förmlich auspressen.
Sie wußte nicht, wieviel Blut in den Adern einer Ratte war, aber es konnte nicht sehr viel sein. Nach weniger als einer Minute ließ der alte Mann das tote Tier los und warf es fast beiläufig zur Seite. Mit dem Ärmel seiner Jacke wischte er sich die dunkelroten Spuren von Kinn und Lippen, mit der Zunge fuhr er sich beinahe genießerisch über die vorstehenden Eckzähne.
»Man lernt Bescheidenheit, wenn man ein Leben der anderen Art gewählt hat«, sagte er.
Lilith verstand nicht, was er damit meinte. Aber es interessierte sie auch nicht wirklich.
In ihrem gepeinigtem Denken hatte nur ein Gedanke Platz.
Der alte Mann war ein Vampir!
Unter seiner bleichen Haut floß, was sie so dringend brauchte!
Und was sie doch nicht bekommen würde.
Weil es unerreichbar für sie war.
Weil sie eingesperrt war in diesem kleinen Körper, in dem kaum noch genug Kraft war für ein Zucken der ledrigen Schwingen. Daran, auf diesen Flügeln emporzusteigen, um den Hals des Vampirs zu erreichen, war gar nicht zu denken. Geschweige denn an die Anstrengung, die nadelfeinen Zähne in seine Ader zu schlagen .
»So, nun bist du an der Reihe, mein kleiner Freund«, sagte der Alte.
Er hob die linke Hand, die er zur Faust geballt hatte. Mit der Rech-ten klaubte er etwas zwischen den geschlossenen Fingern hervor, das Lilith erst erkannte, als er es direkt vor ihr kleines Maul hielt.
Eine Fliege.
Er wollte sie mit dem füttern, wovon Fledermäuse sich für gewöhnlich nährten.
Lilith stülpte sich der kleine Magen um, als sie nur daran dachte, ein Insekt verschlingen zu müssen .
Sie wand ihr Köpfchen ein wenig zur Seite.
»Du mußt fressen, kleiner Freund«, sagte der Vampir tadelnd. »Wir wollen doch, daß du wieder gesund wirst.«
Seine Finger folgten der Bewegung ihres Kopfes, und schließlich hielt er ihn mit der rechten Hand fest und schob ihr die fette Fliege regelrecht ins Maul.
Vorbei an ihren winzigen, aber höllisch spitzen Zähnen .
»Aua!«
Die Hand des Alten zuckte zurück.
»Du bist mir ja einer«, sagte er und lächelte.
Lilith sah etwas Dunkles auf der Spitze seines Zeigefingers glänzen; etwas wie eine kleine schwarze Perle.
Und im gleichen Moment spürte sie, wie etwas über ihre kleine Zunge lief und in ihrem engen Schlund verschwand.
Etwas Wohlschmeckendes. Vitalisierendes .
Die kleine Wunde am Finger des Vampirs schloß sich, den Blutstropfen schnippte er davon, und Lilith war fast versucht, danach zu schnappen.
Noch immer lächelnd sagte der Alte: »Nun gut, vielleicht möchtest du später fressen, hm?«
Lilith sah aus ihren kleinen, schwarzen Augen zu ihm hoch.
Nein, nicht fressen - aber trinken werde ich, dachte sie. Aus dir, mein großer Freund...
Dann versank ihr Bewußtsein in erholsamer Finsternis.
*
Deadhorse
Die Gestalt war riesig.
Sie füllte den Rahmen der offenstehenden Tür fast aus, groß und breitschultrig wie sie war, und im Gegenlicht zeichnete sie
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