Para-Traeume
war sie jemandem begegnet, für den sie etwas empfunden hatte. Und sie wußte, daß diese Empfindung für diesen Jemand einem Todesurteil gleichkommen konnte .
Denn die meisten derjenigen, die ihr seit ihrem Erwachen in Sydney vor nunmehr über zwei Jahren etwas bedeutet hatten, lebten nicht mehr. Ihre Verbindung zu Lilith hatte sie in Gefahr gebracht und schließlich das Leben gekostet.
Und daran würde sich nichts ändern, auch nicht, nachdem sie ihre ursprüngliche Bestimmung erfüllt hatte. Denn ihr war eine neue Aufgabe gestellt worden, und die würde nicht minder gefährlich sein. Sie hieß Tod allen Vampiren!, und wer immer sich an Liliths Seite befände, würde es mit ihren Gegnern zu tun bekommen - und diese Begegnung nicht überleben.
Doch das war nicht der alleinige Grund, aus dem Lilith sich verbot, eine Beziehung einzugehen.
Sie selbst würde angreifbarer und verletzlicher werden, als sie, die nur zur Hälfte Vampir war, es ohnehin schon war. Wem immer sie ihre Zuneigung schenkte, er würde für die Blutsauger leicht zu einem Druckmittel gegen Lilith werden. Und sie wußte, daß sie auf jede solche Forderung eingehen würde - dafür würde schon das Menschliche in ihr sorgen ...
Und so hatte sie Raphael Baldacci verlassen. Wie gerne hätte sie mehr über ihn erfahren, ihn besser kennengelernt . Doch womöglich wäre ihnen nicht einmal die Zeit geblieben, einander wirklich näherzukommen, nicht nur im Körperlichen. Vielleicht wäre ihnen diese Zeit auf brutale Weise genommen worden. Auf eine Weise, die Lilith schon viel zu oft hatte erfahren müssen .
Nein, es war der im Moment schmerzlichere, aber auf längere Sicht hin doch bessere, ja, einzig richtige Weg gewesen, den Lilith mit ihrer Entscheidung eingeschlagen hatte. Und es war auch richtig gewesen, es heimlich zu tun. Denn jedes Wort der Erklärung, das sie Raphael hätte geben können, hätte den Entschluß vielleicht nur ins Wanken gebracht.
Aus der Deckung eines dichten Gesträuchs, welches das alte Haus auf dem Hügel von dem dahinter beginnenden Wäldchen abgrenzte, beobachtete Lilith das Gebäude schon seit geraumer Zeit. Nichts regte sich dort hinter den dunklen Fenstern, und schließlich schlich sie näher, jeden Busch als Deckung nutzend. Sie erreichte eine schmale Hintertür, fand sie unverschlossen und schlüpfte hindurch.
Noch immer fühlte sie sich nicht wirklich kräftig. Aber doch kräftig genug, um sich auf eine Auseinandersetzung mit dem Vampir einzulassen. Vielleicht ruhte er ja gerade, und sie konnte ihn möglicherweise im Schlaf überraschen .
Auf dem Weg hierher und während des Beobachters hatte sie sich natürlich Gedanken über den Alten gemacht. Er war offenbar ausgenommen von jener mysteriösen Seuche, die die Vampire, denen sie in den vergangenen Tagen und Wochen begegnet war, befallen hatte. Sie alle waren aus irgendeinem Grund dem Tode geweiht, und nur die Führer der Sippen schienen gegen diesen tödlichen Keim immun.
War der Alte, der sie am gestrigen Morgen als Fledermaus gefunden und zu sich genommen hatte, ein solches Sippenoberhaupt und deshalb von der Seuche verschont geblieben?
Ohne sagen zu können, weshalb, glaubte Lilith das nicht so recht. Irgendwie fehlten dem Alten die Ausstrahlung und das Wesen eines Führers. Er schien ihr vielmehr - nun, sonderbar eben. Er kam ihr vor wie ein Einzelgänger, der sich von seiner Sippe getrennt haben mochte, aus welchem Grund auch immer.
Lilith zwang sich dazu, nicht weiter darüber nachzudenken. Sie durfte den Vampir einzig als Opfer sehen. Wer er war, sein Leben -was zählte das für sie?
Sie schauderte bei dem Gedanken, sein schwarzes Blut trinken zu müssen. Obschon es lebensnotwendig für sie war, würde sie sich nie daran gewöhnen, und sie würde das dunkle Elixier vor allem nie mit Genuß zu sich nehmen. Der Akt würde immer mit Ekel behaftet bleiben, und er würde nie zu dem werden, was es ihr früher bedeutet hatte, menschliches Blut trinken zu dürfen. Heute graute ihr auch vor diesem Gedanken, aber sie erinnerte sich zumindest an das Wohlgefühl, das es ihr einst bereitet hatte .
Selbst nur ein Schemen, huschte Lilith durch die Schatten, die das Haus wie stumme Wesen bevölkerten. Sie verhielt sich absolut still und lauschte nur auf fremde Geräusche, während sie durch die Räume des Hauses schlich, die zum größten Teil aussahen, als hätte sie seit ewig langer Zeit niemand mehr betreten. Nicht etwa unbewohnt, sondern so, als hätte jemand sie
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