Para-Traeume
entfernten. Als könnte er nicht nur die Bilder nicht länger ansehen, sondern als wäre es ihm unangenehm, neben jemandem zu stehen, der auch noch daran Gefallen zu finden schien .
Blut, Tod und Schrecken waren zentrales Thema eines jeden der Gemälde. Und jedes übertraf das nächststehende noch an Grauen. Sie zeigten Szenarien, von denen man kaum glauben mochte, daß ein gesunder Geist sie ersinnen konnte. Und diese Darstellungen allein fand Baldacci schon entsetzlich. Was ihn aber wirklich tief und mit eisiger Hand berührte, war die Person, die auf die eine oder andere Weise im Mittelpunkt jedes der Bilder stand.
»Lilith ...«
Baldacci spürte, wie etwas in ihm in Bewegung geriet. Wie eine Apparatur, die lange, vielleicht noch nie in Gang gesetzt worden war, die aber funktionierte, als würde sie regelmäßig und sorgfältig gewartet.
Diese Motive - oder vielmehr das, was sie ausdrückten -, deckten sich auf undefinierbare Weise mit dem, was er in Federico gefunden hatte.
Diese Bilder waren die Spur, nach der er gesucht hatte.
Und war Lilith Eden - das Ziel seines Weges?
War er nur deshalb in der vergangenen Nacht auf sie getroffen, und hatte er nur deshalb den Kontakt zu ihr aufgenommen? Etwa nicht, weil er sie anziehend fand (und sich in sie verliebt hatte?), sondern nur, weil sie der Grund seines Hierseins war?
Raphael ging zu der Tür, die in das Geschäft führte, und fand sie verschlossen. Dann erst sah er das Schild, das hinter dem Glas hing: Komme gleich wieder!
Darüber stand in selbstgepinselten Buchstaben der eigenwillige Name des Ladens: Jennifer paints.
Jennifer malt...
Dann war also diese Jennifer die Malerin der Bilder, die Baldacci eher einem Hieronymus Bosch zugeordnet hätte ...
Jennifer war vielleicht eine weitere Spur. Sie konnte ihn womöglich zu Lilith führen, deren Verschwinden plötzlich ein bißchen Sinn zu ergeben schien.
Baldacci drückte das Gesicht gegen das Glas der Tür und sah sich so in dem Geschäft um. An der Wand unmittelbar neben der Tür sah er ein Pinboard, und darauf entdeckte er eine Reihe von Zeitungsausschnitten. Auf den Fotos war neben wechselnden Personen immer ein- und dieselbe junge Frau zu sehen. Sie hatte langes dunkles Haar, war hübsch, und ein klein wenig erinnerte sie ihn sogar an Lilith .
. und sie fuhr in eben diesem Moment auf einem Fahrrad hinter ihm vorüber!
Raphael erkannte sie in einer Reflexion auf der Scheibe und wirbelte herum. Doch da hatte sie sich schon einige Meter von ihm entfernt. Sie fuhr in Richtung des nordwestlichen Sektors der Stadt, und auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads befand sich in einer speziellen Halterung etwas Großes, Rechteckiges, das in Papier eingeschlagen war.
Ein Bild, wie Baldacci vermutete, das sie wohl an einen Kunden liefern würde.
In leichten Trab fallend, nahm er die Verfolgung auf.
*
Jennifer Sebree legte den Pinsel zur Seite, und während sie sich die Finger mit einem terpentingetränkten Lappen säuberte, besah sie sich ihr jüngstes Werk.
Ihr bisher vielleicht gelungenstes, auch wenn es sich vom Motiv her völlig von denen unterschied, die sie für gewöhnlich malte -Landschaftsausschnitte der Gegend ringsum, romantisch verklärt. Bilder eben, die sich verkaufen ließen.
Aber dieses hier war tausendmal schöner. Und es wäre nirgends besser aufgehoben als im Haus des alten Barlow ...
Etwas wollte in Jennifer hochdrängen, etwas wie Empörung, die diesen Gedanken zunichte machen wollte. Doch etwas anderes, etwas Stärkeres und etwas, das ihre Hand in den vergangenen Stunden geführt und sie mit regelrechter Besessenheit hatte arbeiten lassen, erstickte dieses Andere, noch lange, bevor es tatsächlich in Jennifers Bewußtsein treten konnte.
Sie empfand nichts Unangenehmes mehr bei dem Gedanken daran, daß der alte Mann ein Aktgemälde von ihr kaufen würde. Er würde sich nicht an ihrer Nacktheit ergötzen, ihm gefiel das Bild als solches.
Aber es konnte ihm nicht in der Weise gefallen, wie es Jennifer gefiel - denn Barlow konnte nicht die Beziehung zu der anderen Figur auf dem Gemälde haben, wie Jennifer sie hatte.
Der Widderköpfige war ein stummer Zeuge ihrer Träume, und er war es, der ihr in den vergangenen Tagen Inspiration und Kraft in einem gewesen war. Ohne ihn hätte sie nicht all jene wundervollen Bilder schaffen können, die sie voller Stolz im Schaufenster ausstellte.
Bilder, die ausdrückten, was sie in ihren Träumen gesehen hatte. Und ihr war auf eigenartige Weise,
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