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Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)

Titel: Paradies. Doch kein Himmel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthea Bischof
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und die Preise liessen auch nichts Besseres vermuten. Diese Schatten- oder Sekundärwirtschaft war jedoch der Garant für das Überleben und Anwachsen der Slums. Aus Vincents Sicht war es weder an ihm noch an jemand anderem, diese Subkultur zu verurteilen und im Gegensatz zu Luz` Überzeugung tat er es auch nicht. Dennoch berührte ihn der Stolz der Armut und das ungebrochene Selbstbewusstsein Cevas` über seine Errungenschaft. Es war ein funktionierendes System, dem Vincent sich hier gegenüber sah. So wenig er die Strukturen begriff und die Intentionen der Menschen verstand, so verstand er doch, dass es eine ganze Welt war. Eine Welt die Glück und Freude, Verzweiflung und Langeweile bot, so wie jedes andere soziale System. Cevas war nicht unglücklich und seine Frau wahrscheinlich nicht herzloser als andere Menschen. Ihr relativer Wohlstand machte sie zufrieden und frohgemut. Jedes andere Urteil wäre Anmassung gewesen.
    Vincent sah immer deutlicher die markante Lücke im Polizeibericht, die auf das akute Problem in den Slums nicht im Geringsten eintrat. Er beschloss, der Sache nachzugehen und stellte Cevas deshalb weitere Fragen, bis er auf dessen eigentlichen Begehr einging. Es stellte sich heraus, dass Cevas um eine Erlaubnis bat, seine Bude auf der Strasse aufzubauen, was die örtlichen Sicherheitsleute bis anhin schweigend geduldet hatten und nun auf einmal verboten. Ausserdem sei seine Tochter, ein gutes Kind, das fünfte Mal schwanger, ob man ihr vielleicht – davon abhelfen könne?
    Vincent sah erstaunt drein und dachte an das junge Mädchen aus Concepcion. Er wies Herrn Cevas an wiederzukommen, er werde die Sache bis dahin abklären.
     
     
    Nun regte sich in Vincent eine nagende Frage, eine drängende Begierde, die Umstände der Lebensmittelknappheit zu ergründen. Es kam dieser Frage mit einem Male eine Bedeutung zu, die ihn antrieb, ihn schob und drängte, weiterzufragen und sich nicht mit leichten Antworten abspeisen zu lassen. Vincent hätte sich in diesem Moment nicht Rechenschaft ablegen können, was ihn so zu dieser Frage trieb, was sein Denken beherrschte und sein Sehnen entzündete. Es war wie ein Durst nach Erkenntnis, ein Streben nach Linderung. Doch wusste er nicht, ob es die Linderung des Hungers in La Chacarita oder seiner Begierde war, zu erkennen, was ihn vorantrieb.
    Von Curdin Müller erfuhr er, wer bei den örtlichen Behörden ihn informieren konnte, woher die Lieferungen an die Stadtläden eingingen. So rief Vincent bei der Stadtverwaltung an, erreichte über eine Reihe von Versuchen niemanden, bis er durch einen paraguayanischen Kollegen erfuhr, dass man bei der Stadtverwaltung lieber persönlich vorsprach, wenn man etwas erreichen wollte. Das nahm sich Vincent zu Herzen und machte sich auf den Weg, Frau Lopez von Angesicht zu Angesicht zu sprechen.
    Als er sich meldete und alle seine Trümpfe als humanitärer Helfer ausgespielt hatte, trat er endlich einer beleibten Erscheinung gedrängter Weiblichkeit entgegen. Sie hatte derart massiv blondiertes Haar, dass es aussah, als hätte nur seine drahtige Konsistenz es über eine Atomverseuchung gerettet. Das straffe weisse Top und die engen schwarzen Hosen kleideten sie in eine Offizialität, welche die Schlampigkeit des Büros missen liess. Viele benutzte Kaffeetassen und eingestaubtes Gebäck standen auf den Stapeln von Akten herum, während im Hintergrund das Radio trällerte.
    Frau Lopez überschwappte Vincent mit mütterlicher Höflichkeit, als sie ihm entgegentrat und mit beiden Händen die seine presste. Sie sah ihn an, während der Schweiss ihrer Handflächen sich wie ein Film über seine Haut legte und legte den Kopf schräg, während sie ihm zuhörte. Vincent fühlte sich wie zuletzt im Kindergarten.
    Er fragte, woher die Läden ihre Lieferungen an Grundnahrungsmitteln bezogen und wie es kommen könnte, dass solche ganz ausblieben. Frau Lopez klärte ihn über die Nachlässigkeit der Landbevölkerung auf, die nicht immer lieferte, wenn man auf sie rechnete.
    „Sie wollen mir aber doch nicht sagen, dass die Läden so wenig Vorrat haben, sie müssten doch über einen viel längeren Zeitraum hin keine Lieferung bezogen haben!“ rief Vincent ungläubig.
    „Wie kommen Sie darauf?“
    Vincent führte aus, dass es kaum möglich sei, dass in einem Tag alle Läden ausverkauft seien und fragte, ob anderswo in Asuncion ebensolcher Mangel geherrscht hätte.
    „Überschätzen Sie diese Sache nicht, junger Mann, diese Leute machen immer

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