Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
konnte. Sie hatte verstanden, dass sie das Böse, das sie immer bedrängt hatte, hinter sich lassen konnte. Dass es kein Kerker war, der sie auf immer verschloss. Denn es war ein Verlies, aus dem sie hervortreten konnte. Wie eine Sammlung von Scheidewegen lag die Zukunft vor ihr. An jeder Schwelle konnte sie sich entscheiden. Immer wieder neu.
Wie das Morgenlicht der Sonne ihrer Hitze des Mittags vorausgeht, erahnte Consuelo die Wärme einer neuen Wahrheit.
So setzte sie sich nieder auf ein Kissen in der kargen Wohnstatt, die sie mit Vincent bezogen hatte. Sie legte in Ermangelung von Rauchwerk nur Gewürze auf das Gitter über der Kerze. In ringelnd lockenden Schlaufen stieg der scharfe Rauch aus den Chilischoten auf und der ausgeleerte Schnaps erfüllte die Luft mit seinem Geruch nach sublimiertem Zucker.
Sie senkte sich in einen Zustand nahe der Trance, der sie befähigte, Vincents Weg nachzuvollziehen. Sie begab sich so zu ihm und fand ihn wieder auf dem Boden der staubigen Mansarde, die sie selbst gut kannte und an die sie sich so ungern erinnerte. Es war dies der Ort, an dem sie die schlimmsten ihrer Erinnerungen erfahren hatte, so sie von der Welt der Erde stammten. Es war dies der Ort, an dem der Priester versucht hatte, das Böse aus ihr auszutreiben.
Nun aber fühlte Consuelo, waren die Vorzeichen andere, denn nun, das wusste sie, würde sie das Böse austreiben. Das war ihr Vorteil, so viel ihrer Zeit in der Gegenwart des Bösen verbracht zu haben. Sie kannte es weit besser als irgendjemand sonst.
Der reisende Teil ihrer Seele liess sich nieder bei dem Verwundeten und wie das Wasser kühler Quellen labte sie seine dürre Zunge. Sie milderte seine Schmerzen und liess Gnade fallen in die Wunden seines Leibes. Sie rief herbei den Segen der Heiligen, die Genesung der Diener der Engel und als sie wieder von ihm schied, so war sein Leib gelabt und das Leben vermochte weiter in ihm zu bleiben.
Dann verliess sie den Schutz ihrer Wohnung und machte sie sich auf den Weg nach Concepcion.
Marcial war kein geduldiger Mensch, doch er kannte den Gewinn des Wartens. Er wusste, dass nicht der Schmerz an sich die geeignetste Folter war, sondern die Dauer der Qual. Die Zermürbung lag weniger in der Intensität, sondern in der kontinuierlichen Steigerung der Schmerzen. Deshalb überliess er Thal dem groben Wächter, der verschiedene unliebsame Aufgaben im Dienste der Gemeinde der Flammenden Herzen übernahm. Es gab schliesslich immer wieder Probleme mit den Mitgliedern: Gelegentlich empfanden einige seine Führung als zu streng oder ein paar geistesarme Brüder oder Väter verwunderten sich über den Verbleib ihrer Schwestern und Töchter. Dann musste für Ordnung gesorgt werden.
Marcial hatte es mit schlaueren Beschützern versucht, aber es war der Mühe nicht wert gewesen. Er hatte herausgefunden, dass er mit einem dumpfen Diener am meisten erreichte und am wenigsten zu begründen hatte. Was sollte er mit einer Frage, ob es denn Sinn habe, jemanden zu quälen, ehe man ihn tötete? Gab es da etwas zu sagen?
Nein. Marcial wusste, wie viel Macht ihm aus dem fliessenden Blut und der überbordenden Angst seiner Opfer zufloss. Er wusste, dass er sie damit bis nach ihrem Tod an sich band und sie zu Sklaven seines Willens machte. Durch Consuelos stammelnde Berichte darüber, wie sie von den Toten verfolgt wurde, wusste er, wie die grossen Fürsten es früher getan hatten. Er kannte durch das konsequente Befragen der ruhelosen Seelen die Mechanismen, seine Macht magisch zu verstärken. Er kannte die Arten und Wege, Dämonen einzuladen und sich gefügig zu machen. Er wusste, dass die Dämpfe des Blutes aus der Zunge oder den Geschlechtsteilen die geeignetsten Geister einlud. Dass Angst und das widerholte Erblicken des späteren Meisters wichtig waren, um die verstörten Seelen wirklich zu binden. Dass ein Opfer bis über den Tod hinaus zu dem Täter zurückkehren würde aus einer Art irrer Hoffnung, dereinst bestehen zu können oder aus einer Art Unterwerfung unter die Macht des Täters.
Consuelo wusste all das. Sie war sein Lehrbuch, seine Garantie und sie konnte ihm sogar sagen, welche Seelen schwach und welche stark waren, so dass es sich lohnte, sie zu brechen und in die Knie zu zwingen. Nicht dass sie ihm die Dinge jemals so mitgeteilt hatte. Er hatte es ihr aus der Warte als Priester entlockt. Er hatte sie beichten lassen und sie hatte jede Frage getreu beantwortet. Sie war eine Quelle unerschöpflichen
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