Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
und Schein, was er im wilden Wust von Fressen und Gefressen werden zu erkennen glaubte? Konnte denn irgendwer dem Leben beikommen und es erfassen oder war es nur ein hässlicher Wurm, der mordend zerrieb, wo immer er sich bewegte?
Gab es denn ein Gutes unter der Sonne?
Vincent stöhnte auf wie im Schmerz, als ihn die Frage ans Dasein schüttelte, würgte und malmte. Er stützte die Stirn in beide Hände und kniff die Augen zu, doch immer wieder sah er das Elend und die Hilflosigkeit und den ewigen Kreislauf des hoffenden, jung erspriessenden Lebens, das vernichtet und zerstört wurde von einem anderen, das in seiner Stärke sich geil erging und nur dadurch gewann.
„Vincent, ist alles in Ordnung mit dir?“ fragte Curdin, als er zur Tür hereintrat.
„Ich habe Kopfweh, ich geh‘ nach Hause“, erwiderte er, während sein Kollege ihn besorgt musterte. Vincent kehrte in seine Wohnung zurück. Er war auf der Flucht vor seinen Gedanken, den Bildern die ihn verfolgten und den Stimmen, die ihn mahnten, da sei etwas, was er nicht erfassen könne.
Er schaltete laute Musik ein, so dass die Bässe dröhnten und die menschlichen Stimmen kaum noch zu erkennen waren. Sein Kopf gab sich dankbar den harten Klängen hin, denn da war es: da war etwas stärker als der gnadenlose Kreislauf seiner niederschmetternden Gedanken und der Abgesang all seiner Illusionen.
Es dauerte einige Zeit, bis Vincent im dröhnenden Lärm ein Klingeln ausmachen konnte. Er stellte die Lautstärke zurück und ging zur Tür wie er war, nackt bis auf ein paar abgeschnittene Jeans.
„Sind Sie eigentlich von Sinnen?!“ fragte ein älterer Herr im Unterhemd und einem Besen in der Hand.
Vincent hätte laut auflachen können.
„Ist Ihnen vielleicht meine Musik zu laut?“
„Das können Sie zum Teufel nochmal glauben!“ rief der Nachbar und schnaubte.
„Gut, ich stell’s leiser, entschuldigen Sie die Umstände“, erwiderte Vincent und wünschte einen schönen Abend.
Doch nach einer viertel Stunde klingelte es wieder. Diesmal aber hätte Vincent auch ohne Probleme den Besen hören können, deshalb riss er ärgerlich die Tür auf und rief: „Was ist denn jetzt wieder los?“
Vor ihm stand Luz.
Sie duftete und schimmerte, ihre Ohrringe glitzerten wie ihre Lippen und durch die helle Bluse schimmerte ihre warme dunkle Haut.
„Du hast mich gestern gesucht?“ fragte sie nach einer Pause.
Vincent erinnerte sich mit wenig Stolz daran, nachts vor ihrer Tür herumgeschlichen zu sein.
„Hm. Hab ich. Warst du daheim?“
Sie atmete tief ein. „Kann ich herein kommen?“
„Bitte“, sagte er und trat von der Tür zurück, um ihr Einlass zu geben.
„Müsstest du nicht bei der Arbeit sein?“ fragte sie.
„Du nicht auch?“
„Ich hab ja nur gefragt.“
Sie streifte durch seine Wohnung, als hätte er sie zur Besichtigung geladen, blickte in seine Küche und betrat schliesslich sein unordentliches Schlafzimmer und setzte sich auf das ungemachte Bett.
„Hübsch hier“, sagte sie und wippte auf und nieder.
„Wenn du gesagt hättest, dass du kommst, hätte ich sogar aufgeräumt“, bemerkte er, an den Türrahmen gelehnt.
„Hast du mich vermisst?“ fragte sie noch immer wippend.
„Teils“, sagte Vincent und seine Lüge schwebte im Raum, dezent wie ein Schwelbrand.
„Warum sagst du nicht einfach, wenn du mich vermisst hast, dass du mich vermisst hast?“ fragte Luz.
„Warum bist du ein unerträgliches Biest, ausser im Bett?“
„Bist du sicher, dass ich es dort nicht auch bin?“
Da stürzte er auf sie zu und drückte sie r ückwärts auf das zerwühlte Bett, innig und wütend zugleich bebend von Liebe und Lust.
Es wa r Weihnachten.
VIII
Die Gaben fielen als Sternenstaub aus den Höhen und sammelten sich in den Tempeln. Der Weisheit Kraft strömte aus und befruchtete Städte und Stämme.
Aus Weisheit wird Wissen, aus Wissen Gesetz und Gesetz wird Bedrückung,
wenn niemand mehr kennt was in Sternen einst wohnte.
Die Betenden knieten vornübergebeugt und das Murmeln schwoll an und versiegte fast, dass nur noch einzelne Stimmen sich ihren Kehlen entrangen. Wie Jammern und Klagen, wie Brüllen und Schrein erschollen die Gebete, bebten die Schultern, zitterten gebeugte Rücken. Wie erzene Späne sich nach dem magischen Stein wenden, so kreisten niedergestreckt, zu Boden geworfen die Gläubigen um den erhöhten Sitz des Priesters, labten sich an der Stufe, reckten sich, seine Füsse zu berühren, bogen sich ihm
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