Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
es tot war, da es seiner Lebensmöglichkeit beraubt über ihr schwebte, ihren Erlebnissen folgte, nicht von ihrer Seite wich, zweifelte sie schwer an ihrer Entscheidung. Aber was wäre ihr sonst geblieben?
„Ich glaube, deine Tante hat noch etwas Eintopf für dich übrig gelassen“, sagte ihre Mutter in das Schweigen hinein. Consuelo überkam Übelkeit und sie blickte ins Dunkel.
Manchmal fragte sie sich, warum ihre Mutter ihr nie Fragen stellte. Warum sie nie nach IHM fragte. Warum sie immer gehorchte. Aber es war fruchtlos, ihre Mutter würde sich nicht ändern. Ihre Mutter war wie so viele Leute, die Consuelo gesehen hatte.
Als sie ganz klein gewesen war, hatte sie an ihre Mutter geglaubt. Sie hatte geglaubt, dass diese sie ganz beschützen könne. Aber immer mehr war dieser Glaube verblasst und zuletzt, als ER kam. Von da an wusste Consuelo, dass sie immer allein sein würde, dass von nirgends Hilfe zu erwarten war und dass sie selbst schützen musste, was ihr heilig war.
Im Haus ihrer Mutter und deren Schwester setzte Consuelo sich vor die Schüssel mit gemischtem Fleisch, Mais und Bohnen, das ihre Tante ihr unter harmlosem Plaudern mit der Mutter vorsetzte. Consuelo ass ein paar Bissen von dem scharf gewürzten Gericht, legte den Löffel beiseite und ging in das Zimmer, das sie mit ihrer kleinen Schwester und dem Brüderchen teilte. Sie blickte in die Dunkelheit, während ihre Tante die Schüssel, die Consuelo übrig gelassen hatte, im Blick des lauten Fernsehers leerte.
Als Consuelo aufstand, um sich für die Schule bereit zu machen, kniete ihre Mutter mit dem Rosenkranz vor dem Kruzifix neben dem Fernseher und betete murmelnd. Ihre Mama betete viel, mehr als jeder Mensch, den Consuelo kannte. Sie liess keine Stunde ohne Erwähnung des Herrn oder der Muttergottes verstreichen, keinen Tag ohne Rosenkranz. Seitdem der Vater die Familie verlassen hatte, war ihre Mutter tiefreligiös und erwartete von ihren Kindern dasselbe. Ihre ganze Kindheit hatte Consuelo neben ihrer Mutter vor den Heiligenbildchen verbracht, doch seitdem ER gekommen war, genoss sie Narrenfreiheit.
Mechanisch putze sich Consuelo die Zähne und wünschte mit einem Blick in den Spiegel, sie würde nicht so langweilig und nicht so jung aussehen. Es passte doch gar nicht zu ihr. Sie war ganz anders als sie aussah. Gott wusste, dass sie der Unschuld ihres Gesichts niemals gerecht wurde. Vielleicht noch nie in ihrem Leben.
Die Schlechtigkeit, der Mangel an Moral, die in ihr schwelten, lagen verborgen unter ihren Kinderaugen, darauf konnte Consuelo vertrauen. Es sah ihr niemand hinter das Gesicht. Aber sie wusste es besser, sie kannte sich ja. Darum war sie so erschüttert gewesen von der Leichtigkeit, mit der ER in ihre Seele geblickt hatte. ER wusste von ihrer Schlechtigkeit, was in ihr wühlte und was sie wusste, ohne dass sie es jemals einer Menschenseele sagen konnte. Das Böse kannte Consuelo, kannte es besser, als dass sie daran hätte glauben können, dass die Ordnung von Gut und Schlecht, wie ihre Mutter und ihre Tante sie aufrechterhielten, etwas anders sei als Kosmetik. Die Schlechtigkeit, das wirklich hässlich Böse, das zog sich durch und auch eine polierte Lackschicht von Religion konnte es nur verschleiern, aber niemals lösen.
Consuelo spuckte ins Becken und kämmte sich das Haar. In die Stille ihrer Morgentoilette tropften die Erinnerungen des gestrigen Abends, was ER verlangt hatte, was sie gesagt hatte, alles wiederholte sich vor ihrem inneren Auge.
Sie betete ein Ave Maria und zog die Schuluniform an, dann machte sie sich auf den Weg.
Sie hatte eine beste Freundin, Teresa. Diese erzählte ihr immer viel und Consuelo erzählte auch ein bisschen. Aber von den Dingen in ihrem Inneren, den ewigen Geheimnissen konnte sie der guten Teresa nichts sagen. Teresa nämlich hatte keinen verborgenen Tunnel in die Hölle in ihrer Seele. Sie hatte Träume und schöne Vorstellungen und sie hatte Consuelo lieb, auch wenn die nicht wusste, weshalb.
Vordem ER an Consuelo gekommen war, war sie gut in der Schule gewesen. Das meiste begriff sie mit Leichtigkeit und wenn nicht, so half ein schneller Blick in die Bücher. Doch inzwischen interessierte das alles sie nicht mehr. Sie wollte gar keine gute Ausbildung mehr, keine Anerkennung für ihre Leistung. Sie wollte einfach nur ihren Gedanken nachhängen. Irgendwie wollte sie noch etwas anderes, aber sie hätte nicht die Worte gefunden zu sagen, was das sei. Sie erkannte es nur mit
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