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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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miteinander gesprochen. Wir mussten beide unsere Gedanken ordnen, ehe wir weitermachten – mit dem Sprechen, mit dem Leben, mit allem.
    David würde nie damit aufhören, tot zu sein. Und er würde nie damit aufhören, mein Sohn zu sein.
    Und nichts war gut.
    Aber irgendwie musste alles weitergehen. Er hätte gewollt, dass es weiterging.
    Lottas Schwestern hatten am Tag nach der Beerdigung bei mir geklingelt und gesagt, sie fänden es okay, dass ich mit ihnen lernen wollte, und das D wäre ein schwieriger Buchstabe, mit dem ich ihnen vielleicht helfen könnte. Gerade mit dem D, dachte ich, habe ich womöglich auch meine Schwierigkeiten.
    Irgendwann werden Lottas Schwestern und alle anderen Leute von der Werkstatt auf der Veranda sitzen, das weiß ich, genau wie in meinem kitschigen Tagtraum, Lottas Familie und Frau Hemke, die jetzt wieder zu Hause wohnt und bei der ich eine Menge Zeit verbringe mit Kochen und Aufräumen und Tablettensortieren. Und Celia und das Baby und René und Jarsen und die einsame Spaziergängerin und unter dem Tisch der Hund. Nur die Kühe vielleicht nicht. Irgendwann werden sie dort sitzen, zusammen mit Claas und mir, und Kuchen essen und lachen, aber bis dahin brauche ich noch eine Weile.
    Lotta wird trotz des Kuchens Kaugummi kauen.
    Sie kaute auch Kaugummi, als ich sie in Rosekasts Garten traf. Die Blasen, die sie an diesem Tag machte, waren himmelblau.
    Wir saßen lange zusammen dort auf der Bank und schwiegen und sahen aufs Wasser hinaus, das nur ein kleiner See war und kein Meer, nur ein Bruchteil und kein Ganzes. Vielleicht, dachte ich, reicht ein Bruchteil von allem völlig aus für Lotta und mich.
    Man konnte nie allen helfen, nie alles erreichen. Ein Bruchteil war in Ordnung.
    »Ich habe den Zettel gefunden«, sagte ich nach einer Weile. »Nicht den richtigen. Aber den Inhalt. Alle Worte, die auf dem Zettel waren. Sie sind ja da, weißt du. Jedes einzelne. In Davids Werkstattbericht. Wir können sie um die Welt schicken, die Worte. Die Botschaft. Vielleicht schreibe ich alles auf. Die ganze Geschichte von der Paradieswerkstatt. Das wäre doch was. Statt zu malen, könnte ich mal schreiben.«
    Lotta sagte nicht ja, aber auch nicht nein, wir schwiegen einfach weiter.
    Das Schweigen war in Ordnung.
    Und dann sagte Lotta doch etwas. Ganz plötzlich. »Ist er«, sagte sie. »Glaub ich schon. Irgendwie.«
    »Wie?«, fragte ich. »Worüber redest du?«
    »Ich hab mit Rosekast gesprochen«, sagte Lotta. »Hast du nicht gehört, was er gesagt hat?«
    »Nein«, gestand ich.
    »Du solltest wohl mal zum Ohrenarzt gehen, Lovis Berek«, meinte Lotta freundlich und spuckte ihren Kaugummi ins Gras. »Er hat gesagt: Ist er jetzt wieder da? Und das ist er. In den Menschen innen drin. Jedenfalls in denen, die das mit der Werkstatt mitgekriegt haben.«
    »Wer?«, fragte ich. »Wer ist wieder da?«
    »Gott«, sagte Lotta und sprang von der Bank.

    Am gleichen Abend habe ich das Triptychon fertiggemalt.
    Ich wollte den Gott in der Mitte löschen, ihn ausmerzen, ihn übermalen. Wenn Gott irgendetwas ist, ist er das Gute in allen Menschen, hat David gesagt. Und das Gute in allen Menschen kann ich nicht malen, nicht einmal als graue Kästchen. Aber vielleicht kommt es nicht darauf an, was philosophisch logisch ist oder wahr. Vielleicht kommt es darauf an, was wir uns vorstellen und was wir fühlen. Deshalb hat der Gott auf meinem Bild jetzt ein Gesicht.
    Es ist das von David.

Über Antonia Michaelis
    Antonia Michaelis, 1979 geboren, begann bereits als Kind zu schreiben. Sie ist eine renommierte Autorin von zahlreichen Büchern und Theaterstücken für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Ihr Roman »Der Märchenerzähler« wurde für den Deutschen Jugendbuchpreis und den Buxtehuder Bullen 2012 nominiert. Antonia Michaelis lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in einem Dorf nahe der Insel Usedom.

Über dieses Buch
    »Es ist die Verteilung«, sagte ich. »Die Verteilung ist ungerecht. Manche Leute kriegen wohl nur das Schöne und manche nur das Leid.«

    Das Paradies ist machbar, glaubt der 9-jährige David. Man muss nur das Geld ein wenig umverteilen. Oder die Kühe von nebenan freilassen, die noch nie auf der Weide waren. Dass David begonnen hat, seine wilden Pläne in die Tat umzusetzen, erfährt seine Mutter Lovis erst, als er nach einem Unfall im Koma liegt. Sie findet seine Aufzeichnungen und beginnt zu kämpfen: um ihren Sohn, um ihre zerrüttete Ehe und um das Paradies auf Erden, das zu

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