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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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schmeißt immer seine Bücher durcheinander«, sagte ich.
»Bücher? Im Wald?«, fragte Livia. Dann wuschelte sie mir durchs Haar als wäre ich ein kleines Kind, was mich ärgerte. Und dann ging sie einfach davon, was leicht für sie war, weil sie längere Beine hat als ich. Ich hätte rennen müssen, um weiter mit ihr Schritt zu halten. Aber ich wollte nicht rennen, ich brauchte meine Kraft, um bei Frau Hemke ein Beet zu Ende umzugraben. Um die Murmel ins Rollen zu bringen.

    Ich hätte es mir denken können. Bei den Worten EINTRAG 4 wechselte das System schon wieder. Der Text bestand beinahe zur Hälfte aus Lücken – aus Leerzeichen.
    David zwang mich zu einer Pause.
    Draußen wurde es schon hell. Ich hatte die ganze Nacht Worte entziffert.
    Der letzte kleine Absatz war rätselhafter als alles bisher. Rosekast war nicht da gewesen, aber doch da gewesen? Jemand hatte seine Bücher schon wieder durcheinandergeworfen? Und bedeutete Livias Auftauchen irgendetwas – oder gar nichts? Ich kannte Livia nur vom Sehen, sie war wirklich sehr blond, nachgeholfen-blond, mit einer knallrot gefärbten Haarsträhne vorn.
    Warum, dachte ich, färbten sich alle Leute unter einem gewissen Jahresarbeitseinkommen hier eine rote Strähne in die Haare? Diese Strähnen sind wie Signalfähnchen. Hallo, ich bin aus der Unterschicht. Verzeihen Sie, das ist ein verbotenes Wort. Es sollte vor langem abgeschafft worden sein, zusammen mit dem, was es bezeichnet.
    In Davids Paradies würde das Wort nicht mehr existieren.
    Ich stand auf, streckte mich und sah hinunter in den beginnenden Morgen. Die Schafe trotteten träge über die Wiese, noch benommen von der Nacht. Hinten am Zaun lehnte René am Zaun und rauchte. Ich hatte nicht gewusst, dass er rauchte – irgendwie war ich davon ausgegangen, dass sein Intellekt nicht für das Kaufen und Anzünden von Zigaretten ausreichte.
    Ich weiß, dachte ich wieder einmal, gar nichts.
    Was wollte René da am Zaun, zwischen unserer Wiese und dem Weizenfeld? Hoffte er, dass dort zufällig ein Auto vorbeikäme, dem er winken könnte? Oder wartete auch René aus irgendeinem Grund auf meinen Sohn?
    Seit David im Koma lag, schien mir alles eine Bedeutung zu haben, jede Bewegung jedes Menschen im Dorf; es war, als lebte ich in einem großen Rätselspiel voller versteckter Hinweise.
    »Quatsch«, sagte ich laut, und in diesem Moment öffnete sich die Tür hinter mir.
    Ich erschrak so sehr, dass ich mir beim Umdrehen den Kopf an der Dachschräge stieß.
    In Davids Zimmertür stand Claas.
    Ein müder, zerknitterter Claas. Ich fragte mich, ob er in seinen Sachen geschlafen hatte. Er war sehr unrasiert. »Guten Morgen«, sagte er.
    Ich nickte lahm. Meine Stimme fühlte sich eingestaubt an, als müsste ich sie erst ausschütteln.
    Ich wünschte, Claas wäre wieder gegangen, damit ich noch einen Moment alleine am Fenster stehen konnte, ohne etwas sagen zu müssen.
    Gestern Abend, dachte ich, habe ich gewartet. Gestern Abend habe ich gefroren, gestern Abend hätte ich dich gebraucht. Jetzt ist es zu spät, der Moment vorüber.
    Claas sah die Schreibmaschine an, die auf Davids Tisch stand, und ich legte rasch meine Hand auf die braune Ledermappe, als müsste ich mich auf dem Tisch abstützen. Meine Hand verdeckte die Mappe nicht wirklich.
    »Wann bist du nach Hause gekommen?«, fragte ich, um irgendwie von der Mappe und der Maschine abzulenken.
    »Eben.«
    »Eben?«
    »Ich habe im Auto geschlafen. Mehr … versehentlich. Ich wollte nur einen Moment die Augen zumachen … am Straßenrand … und dann weiterfahren … Ich war noch bei David. In der Klinik.«
    »Du warst in Rostock? Abends? Nach deinem Dienst?«
    »Erstaunt dich das? Ich habe versucht, dich anzurufen. Du bist nicht rangegangen.«
    »Oh, das … das habe ich nicht gehört.«
    »Lovis«, sagte er und kam weiter ins Zimmer herein, und ich suchte nach einer Erklärung für die Schreibmaschine und die Mappe, nach etwas, das ich sagen konnte, ohne die Wahrheit zu sagen. Gleichzeitig suchte ich in mir nach einer Erklärung dafür, warum ich ihm nicht die Wahrheit sagen wollte. Warum ich nicht einfach sagte: Schau, was ich gefunden habe, vielleicht ist es eine Spur –
    »Lovis«, sagte Claas noch einmal. Er war jetzt ganz nah, und dann nahm er mich in die Arme.
    Ich stand ganz steif da. Ich kann nicht, dachte ich. Ich kann dir dies nicht erzählen. Ich kann deine Umarmung nicht erwidern.
    »Glaubst du denn, ich mache mir keine Sorgen?«, flüsterte er.

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