Paradies für alle: Roman (German Edition)
den Planeten, sondern den Gott. Schon wieder ein Gott.
»Ist Jupiter eigentlich wie der Christengott?«, fragte ich. »Und Zeus auch? Ich meine, ich weiß vom Lesen, dass der eine griechisch gesprochen hat und der andere lateinisch, aber … ist es nicht immer der Gleiche? In allen Religionen?«
»Das ist eine sehr gute Frage«, sagte Rosekast. »Bei den Griechen und Römern waren es ja viele Götter nebeneinander. Und bei den Hindus auch.«
»Ja«, sagte ich, »darüber hatten wir gerade gestern den Vortrag, Peter hat ihn gehalten. Er hat gesagt, die Götter haben auch viele Arme, eine ganz erstaunliche Menge Arme …«
»Sehr praktisch«, sagte Rosekast.
»Zum Fensterputzen«, sagte Lotta.
»Alle diese Götter sind vielleicht nur Eigenschaften eines einzigen Gottes«, sagte Rosekast. »Diese Religionen haben den Gott in viele Teile gespalten. Ein Teil von ihm ist wütend, ein Teil ist freundlich, einer weiblich und einer männlich …«
»Oder umgekehrt«, meinte ich. »Die anderen Religionen haben die vielen Götter zusammengefasst zu einem einzigen mit vielen Eigenschaften.«
»Es kommt letztlich auf dasselbe hinaus«, sagte Rosekast.
»Es gibt ein einziges höheres Prinzip, und das manifestiert sich auf verschiedene Weise.«
»Ich gucke mal nach den Äpfeln«, sagte Lotta.
»Das Prinzip kann ein Gott sein oder ein Naturgesetz«, fuhr Rosekast fort. »Eine Formel wie E=mc Quadrat, nur noch grundlegender. Eine Formel, mit der sich alle anderen Naturgesetze herleiten lassen.«
»Und was bedeutet das für mein Paradies?«, wollte ich wissen. »Wenn Gott nur eine Formel ist … dann sind die schlechten Sachen auf der Welt eine Folge der Formel …«
»Genau wie die Guten.«
»Und das Paradies, wo es nichts Schlechtes mehr gibt … ist ein Zustand, in dem die Formel nicht mehr gilt?«
»Die Überwindung der Formel«, sagte Rosekast.
»Irgendwo bin ich ausgestiegen«, sagte ich.
Er nickte. »Komm in zwanzig Jahren noch mal vorbei«, sagte er, und dann lachte er auf einmal, aber es war ein gutmütiges Lachen.
»David«, sagte er, »ich habe gar nicht gesagt, dass Gott eine Formel ist. Ich habe nur gesagt: Es ist denkbar. Keiner weiß es. Vielleicht ist es egal, was Gott ist. Und deshalb muss man das Paradies selber machen. Da gebe ich dir recht. Niemand kann herausfinden oder berechnen, was nach dem Tod passiert.«
Ich nickte. »Wir können uns nicht darauf verlassen, dass nach dem Tod alles besser ist, oder? Und deshalb muss man dafür sorgen, dass es hier besser wird.«
»Ja.«
»Gut«, sagte ich. »Dann schreiben wir jetzt einen Brief an Herrn Tielow mit dem Hund.«
»Tut das«, sagte Rosekast. »Bringt die Murmel ins Rollen. Die schiefe Ebene hinauf. Damit sie irgendwann kippt.«
Er begleitete uns nicht zum Gartentor, er blieb auf der Bank sitzen.
1. 11. 2011
Wir haben den Brief geschrieben und sogar richtig geschickt. Lovis hat sich gewundert, wozu ich die Briefmarke haben wollte.
Lotta hat gesagt, sie hätte gesehen, wie Herr Tielow den Brief gelesen hat. Er hat, sagt sie, geflucht und ihn dann zerrissen. Als ich zwei Tage später an seinem Hof vorbeiging, hatte der Hund eine neue Wunde an der linken Seite, sein Fell war dort verklebt wie von Blut.
Ich bin noch einmal ohne Lotta in den Wald gegangen, zu Rosekast, um ihn zu fragen, was wir machen sollen.
Und ich traf dabei alle möglichen Leute, erst Jarsen, der auf dem Waldrandweg entlangging und aussah, als dächte er nach, und dann, weiter drinnen im Wald, die einsame Spaziergängerin, die auf einem Baumstamm saß und einen Strauß kleiner violetter Herbstblumen anguckte, den sie in ihren Händen hielt.
Rosekast war nicht da.
Er saß auf seiner Bank wie immer, aber er war trotzdem nicht da. Er guckte nur geradeaus aufs Wasser und atmete sehr leise. Als schliefe er mit offenen Augen.
In seinem Wohnzimmer war eines der Regale umgefallen, und die Bücher lagen wieder alle auf dem Boden verstreut. Im Garten waren Spuren wie von einem Tier.
Als ich zurückging, traf ich am Waldrand Lottas ältere Schwester, Livia. Sie kam von Jarsens Haus.
»Hast du Fenster geputzt?«, fragte ich.
Livia nickte. Sie ist blond wie Lotta und schlank und ziemlich hübsch, und es war schön, ein Stück neben ihr herzugehen. Ihre Lippen sahen aus wie rot bemalt und später wieder abgewischt. Ihr Oberteil war rosa und sehr eng und dünn.
»Kennst du Rosekast?«, fragte ich. »Der im Wald wohnt? Nicht am Wald, so wie Jarsen, sondern im Wald?«
»Wen?«, fragte Livia.
»Jemand
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