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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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mit René und mit Lotta, Eifersucht hin oder her. Und … mit Claas.
    Ich legte eine Hand auf seinen Arm, ganz kurz. »Komm«, sagte ich leise, »setzen wir uns einen Augenblick auf die Veranda. Ich muss dir etwas erzählen. Etwas …« Ich hielt ihm die Ledermappe entgegen. »… über das hier. Ich hätte es längst tun sollen.«

6.
    Wir saßen an diesem Abend sehr lange auf der Veranda, viel länger als nur einen Augenblick. Wir tranken Rotwein, und ich erzählte. Einmal glaubte ich, Lotta bei den Weiden herumklettern zu sehen. Lotta und noch ein Kind, ein Stück größer als sie und mit goldrotem Haar. Ich blinzelte. Nein. Da war niemand auf der Weide, gar niemand. Die Dämmerung gebar bisweilen ihre eigenen Gestalten. Sie gebar ganz hinten auf der Wiese auch eine Spaziergängerin mit langem schwarzem Haar, die alleine durchs Abendlicht schwamm, und ich goss Wein nach und erzählte weiter.
    Es tat unerwartet gut, zu erzählen.
    Als ich geendet hatte, war es so dunkel geworden, dass man die Weiden nicht mehr sah und auch nicht sagen konnte, wer dort war oder nicht war.
    Claas legte eine Hand auf meinen Arm, und ich zog meinen Arm nicht weg.
    »Er hat ganz alleine versucht, die Welt zu retten«, sagte er leise. Ich nickte.
    »Und du denkst, er ist dabei irgendwem auf die Füße getreten oder bei … irgendetwas … in die Quere gekommen.« Ich nickte wieder. »Jemandem, der versucht hat, ihn verschwinden zu lassen.«
    »Ja«, sagte ich. »Aber er hat es geschafft, abzuhauen. Irgendwo auf der Autobahn.«
    Ich merkte auf einmal, dass ich wieder fror. Ich rückte näher zu Claas auf der Verandabank.
    »Ich habe gestern noch mal mit dem Fahrer gesprochen«, sagte er leise. »Weißt du. Dem, der David angefahren hat. Er hat im Endeffekt das Gleiche gesagt wie schon vorher. Dass David auf einmal da war, wie aus dem Boden gewachsen oder vom Himmel gefallen. Aber er hat zugegeben, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass ein neunjähriger Junge vom Himmel fällt. Er sagte, die Straße vor ihm in der Dämmerung sei leer gewesen. Völlig leer. Dann hätte er den Radiosender verloren und kurz auf die Anzeige gesehen, um ihn neu einzustellen, und als er wieder auf die Straße sah – er meinte, das war höchstens nach einer Sekunde – da stand David dort, in der Mitte der Fahrbahn.«
    »Du meinst, jemand hat ihn auf die Straße gestoßen.«
    »Es ist möglich, oder? Der Fahrer sagt, er hat niemanden gesehen. Aber er hat auch nicht darauf geachtet, er hat nur auf David geachtet, der auf der Straße lag, und dann hat er den Krankenwagen gerufen.«
    »Da ist ein Hügel mit Büschen, rechts. Ich war da.«
    Claas drückte mich ein wenig fester an sich. »Ich weiß«, sagte er. »Ich war auch da. Dreimal jetzt.«
    Ich lehnte mich an ihn. »Man kann sich zwischen den Büschen verstecken«, flüsterte ich.
    »Ja«, sagte Claas. »Und ein paar hundert Meter davor führt die Autobahn über die Warnowtalbrücke. Man könnte dort ins Tal hinunterklettern, irgendwie wegkommen, ohne gesehen zu werden. Auch das ist möglich.«
    »Wenn es so war«, wisperte ich, »wenn ich den zwischen die Finger kriege, der das getan hat, dann bringe ich ihn um.«
    Claas schob mich ein wenig von sich fort und sah mich an, er studierte mein Gesicht sehr gründlich, wie etwas, das er zum ersten Mal sah.
    »In Ordnung«, sagte er schließlich.
    Dann beugte er sich vor und küsste mich, und ich küsste aus reiner Überraschung zurück. Es war ein langer und beinahe schmerzhaft intensiver Kuss; unsere ganze Wut war darin enthalten, die Wut auf einen Unbekannten; auf den Mörder unseres Sohnes. Er war allerdings kein Mörder. David lebte. Und so war auch unsere Hoffnung in dem Kuss enthalten, die Hoffnung darauf, dass er bald aufwachen würde. Die Hoffnung hob mich von der Verandabank und trug mich nach drinnen, sie trug mich durch die Küche ins Wohnzimmer, als wöge ich nicht mehr als eine Feder, und dort bettete mich die Hoffnung auf das alte Ledersofa mit den vielen abgewetzten bunten Kissen. Sie sah dabei Claas erstaunlich ähnlich.
    Das Sofa unter mir fühlte sich an wie ein Stück Vergangenheit. Wir hatten es zusammen gekauft, gebraucht, sehr billig, bei einer Haushaltsauflösung. Vielleicht war auch damals jemand in ein Seniorenheim gezogen, von dessen fünftem Stock aus man irgendetwas sehen konnte, das man gar nicht sehen wollte. Wir hatten nicht darüber nachgedacht, wir waren jung gewesen, wir hatten das Sofa gekauft und in unsere erste

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