Paradies für alle: Roman (German Edition)
er David gehalten hatte, den winzigen David, den wir uns so lange gewünscht hatten. Ich glaube, damals, in den allerersten Tagen nach Davids Geburt, ehe wir uns verloren, waren wir sehr glücklich.
»David hat gesagt, Sie sollen mir das Kind zeigen?«, fragte ich.
Celia nickte. »Er hat gesagt, Sie können mir vielleicht helfen. Weil Sie wissen, wie man alles macht.«
»Was macht?«
»Alles. Mit einem Kind. David hat gesagt, Sie können mir das beibringen.«
»Man … man muss es füttern«, sagte ich und kam mir völlig blöde vor.
Celia nickte gehorsam. »Das weiß ich. Muttermilch ist am besten. Das weiß ich alles.«
»Ja, das … das haben die Ihnen in der Klinik sicher schon alles gesagt«, stotterte ich. »Die haben Ihnen bestimmt erklärt, wie das mit dem Stillen funktioniert …«
Celia nickte wieder. »Ich war da eine Woche lang«, sagte sie. »Das Essen war sehr gut. Die haben mir auch bei allem geholfen. Aber was sie dann erklärt haben … mit dem Impfen zum Beispiel, und wann man zum Arzt muss, und … wann es was kann, oder wann es nicht in Ordnung ist, wenn es was nicht kann … Das war alles so schnell. Die erklären immer so schnell. David hat das gewusst, glaub ich, deshalb hat er gesagt, ich soll zu Ihnen kommen. Wenn ich Fragen hab.«
»Ach so«, sagte ich ratlos. »Ja, wollen Sie denn jetzt akut irgendwas wissen?« Und ich fragte mich, ob sie das Wort verstand: akut.
»Ich wollt’s nur zeigen«, sagte Celia und lächelte wieder. »Mit dem Impfen und so, da können wir ja mal drüber reden, ich lese auch noch mal nach, auf dem Zettel … Ich komme dann wieder, und wir reden. Okay?«
»Ja«, sagte ich, erleichtert. »Tun Sie das. Wir gucken uns den Zettel zusammen an. Und ich werde versuchen, alle Fragen zu beantworten. Sagen Sie dem Papa, was für ein schönes Kind er hat.«
Celia schüttelte langsam den Kopf und presste die Lippen aufeinander.
»Also kein Papa?«, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf noch immer. Dann streckte sie die Hände wieder in Tabletthaltung aus, nahm Claas das Bündel weg und drückte es an sich, jetzt weniger wie ein Tablett und mehr wie eine Puppe. Sie drehte sich um, lächelte ein letztes Mal und ging die Pflasterstraße hinunter, an der alten Kirche vorbei, ihre Schritte vorsichtig, als balancierte sie ein rohes Ei auf einem Löffel.
»Bis … dann«, sagte ich, obwohl sie mich nicht mehr hörte.
Sie hatte meine Frage nach den Kühen nicht beantwortet. Mir war leicht schwindelig. Das winzige Kind in Claas’ Armen hatte zu viele Erinnerungen in mir durcheinandergewirbelt. Wenn wir dorthin zurückgehen könnten. Zu diesem Punkt in unserer gemeinsamen Geschichte: dem Punkt, an dem David gerade auf der Welt war. Wenn wir alles anders machen könnten. Dann, ja dann wäre es vielleicht möglich, ohne Mauern zu leben, sich nicht zu entgleiten …
»Es gibt doch Hebammen«, sagte Claas. »Oder? Hebammen, die zu den Familien nach Hause kommen und den Müttern zeigen, was zu tun ist.«
»Sie wird nicht gefragt haben«, sagte ich. »Wer nicht nach etwas fragt, bekommt es auch nicht.«
»Und David …«, begann er.
»David hat umverteilt«, erklärte ich und merkte, dass Celias Lächeln sich auf mein Gesicht geschlichen hatte. »Alles Mögliche. Zeit und Geld und Hunde und … in diesem Fall … Erfahrung? Celia wird also noch auf seiner Liste auftauchen. Ich fasse es nicht, dass er ihr gesagt hat, sie soll zu mir kommen. Gerade zu mir … Ich dachte immer, er hält mich für, ich weiß nicht, selbstsüchtig? Unfähig, zuzuhören?« Und plötzlich kam etwas über mich, ich weiß auch nicht, was, eine Welle von unerwartetem Glück, von Wärme, von Hoffnung. Ich dachte an das winzige Menschengesicht in Celias Armen, ich wusste nicht mal, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, ich war zu verwirrt gewesen, um zu fragen. Es war, als hätte David mir ein Zeichen von dort geschickt, wo er war, jenem Zwischenstadium, jenem Nicht-Raum, jenem Schwebezustand – jenem Nachbarort des Paradieses, den man nicht begreifen konnte. Oder er hatte nicht mir ein Zeichen geschickt. Sondern uns.
Der Frühling duftete so sehr nach Frühling. Die letzten der Kastanienkerzen über uns hatten sich entzündet.
Und mit einem Mal war ich sicher: Wenn die Kastanien verblüht waren, würde ich zusammen mit David hier auf den Stufen vor dem Haus sitzen und in ihre sattgrünen Kronen emporsehen – zusammen mit David und Celia und ihrem Baby und dem schmutzig weißen Hund,
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