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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Fältchen noch nicht«, wisperte ich. »Auf Davids Diagramm wärst du ungefähr in der Mitte … Lass es uns tun, ja? Lass uns jetzt gleich hinausgehen, ohne etwas anzuziehen, lass uns auf eine Weide klettern und die Sterne angucken und dann Verstecken spielen, so wie mit David, als er klein war.«
    »Ich muss mit dir sprechen«, sagte Claas. »Über ihn.«
    »Über David?«
    Er nickte. »Ja. Wenn er zurückkommt … wann immer das sein wird … es ist möglich, dass alles anders sein wird.«
    »Natürlich«, sagte ich und fuhr mit dem Finger seine Augenbrauen nach. »Alles wird ganz anders. Ich werde anders sein. Ich werde mir mehr Zeit für ihn nehmen. Wer weiß, vielleicht male ich überhaupt nicht mehr …«
    »Ich glaube nicht, dass er das wollen würde. Dass du nicht mehr malst.«
    »Dann male ich weniger«, sagte ich, und ich fühlte mich federleicht an, als ich das sagte. »Oder anderes. Für ihn. Für euch. Ich kann die ganze Welt für euch malen … Ich habe diese Abstraktionen satt. Ich male dir einen Nachtimbiss, wenn du willst. Oder einen Mondscheinspaziergang. Ich male David eine neue Schreibmaschine …«
    »Lovis.« Claas nahm meine Hand aus seinem Gesicht, hielt sie fest und sah mich weiter an, und da sah ich, dass sein Blick unheimlich ernst war, ernst und unheimlich, und dass er nicht über Mondschein und Schreibmaschinen reden wollte.
    »Lovis, ich habe mit den Ärzten gesprochen.«
    »Mit Samstag?«
    »Ja. Mit Samstag auch. David wird vielleicht nie wieder laufen können. Du hast das nicht gesehen, oder du wolltest es nicht sehen … unter der Decke, die da im Krankenhaus über ihm liegt … Er hat bei dem Unfall das linke Bein verloren. Und seine Wirbelsäule und sein Gehirn … Es ist noch nicht klar, was wird. Wir werden uns umstellen müssen. Uns darauf einrichten, dass er vielleicht in einem Zimmer im Erdgeschoss besser aufgehoben ist als oben … und wir brauchen ein anderes Auto …«
    »Ein Auto, mit dem man einen Rollstuhl transportieren kann?«, hörte ich mich fragen, und meine Stimme klang eiskalt und giftig. »Oder gleich einen Sarg?«
    Ich setzte mich auf und starrte Claas an, der einfach liegen blieb, auf eine schreckliche Art hilflos.
    »Wie kannst du so was sagen?«, zischte ich. »Hast du deinen Sohn schon so weit aufgeben? Machst du im Kopf schon einen Behinderten aus ihm? Ich werde dir was sagen, es ist auch mein Sohn, und ich habe keinen behinderten Sohn, mein Sohn wird wieder Fußball spielen, zusammen mit seinen Freunden, und …«
    »Das soll er ja«, sagte Claas leise. »Ich möchte ja auch, dass er wieder Fußball spielt. Dass er seine Freunde behält. Aber wir müssen ein paar Dinge besorgen, damit er das kann …«
    »Seine Freunde behält?«, fauchte ich. »Wie könnte er sie nicht behalten? Die haben ihn noch nicht aufgegeben, nicht so wie du. Finn und Peter zum Beispiel … die stehen sofort wieder vor der Tür, sobald David zu Hause ist, sicher … und wenn er noch eine Weile zu Hause bleiben muss, dann besuchen sie ihn eben … man kann doch auch drinnen schöne Sachen machen, und es gibt doch Reha, und alles … Er wird wieder Fußball spielen, das schwöre ich dir.«
    »Lovis. Bitte.« Claas streckte eine Hand aus, aber diesmal zuckte ich weg, ich ließ mich nicht von ihm berühren, nicht mehr, er war in den letzten drei Minuten jemand ganz anderer geworden. Oder er war einfach wieder der geworden, der er war, und mir wurde mit einem Schlag klar, dass er nie mehr der Claas der Vergangenheit sein konnte. Die letzte halbe Stunde war nichts gewesen als dumme, weinduselige Illusion.
    »Fass mich nicht an«, sagte ich. »Ich hasse dich.« Und ich klang dabei wie ein Kind und ärgerte mich darüber.
    »Tu das«, sagte Claas müde. »Hass mich, Lovis. Das geht vorbei. Alles geht vorbei. Du musst dich nur an den Gedanken gewöhnen, dass die Dinge anders sein werden …«
    »Das werde ich nicht!«, rief ich und sprang auf. »Ich werde mich nie an den Gedanken gewöhnen, dass ihr David in … in einen Rollstuhl verbannt, du und die Ärzte in Rostock, das lass ich nicht zu, ihr … ich … David …« Aber ich wusste nicht, was ich sagen wollte, was ich sagen konnte, und so rannte ich aus dem beinahe dunklen Wohnzimmer hinaus in die beinahe dunkle Nacht, rannte ganz alleine über die Koppel, wo die Schafe sich als dunkle Klumpen in der Nacht abzeichneten, Tränen der Wut in meinem Gesicht. Ich kletterte ganz allein auf die mittlere Weide, und dann

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