Paradies für alle: Roman (German Edition)
gemeinsame, winzige Wohnung geschleppt, und wir hatten uns darauf geliebt, weil das Bett im Nebenzimmer uns zu spießig – und auch zu hart – dafür erschien. Dann hatten wir das alte Pfarrhaus hier im Dorf gekauft und das Sofa über die dreistufige Treppe getragen, die rissig war, weil die Wurzeln der beiden Kastanienbäume immer wieder versuchten hindurchzuwachsen. Und wir hatten uns gesagt: Hier in diesem Haus ist der richtige Platz für ein altes Ledersofa mit bunten Kissen. Hier ist der richtige Platz für uns.
David, dachte ich, David ist später auf diesem Sofa gezeugt worden. Das war ein erstaunlicher Gedanke.
»Du hast sehr viel an«, sagte Claas und katapultierte mich zurück in die Gegenwart. Seine Hände versuchten, unter meinem T-Shirt den Verschluss meines BHs zu lösen, und ich erinnerte mich daran, dass er das noch nie gekonnt hatte, und hätte beinahe gelacht. Ich löste den Verschluss selbst und streifte das T-Shirt über den Kopf. Ein Teil von mir war neun Jahre jünger, war wieder an dem Tag angekommen, an dem wir das Sofa hierhingestellt hatten.
Es war Frühling gewesen, so wie jetzt, und ich wusste noch, dass alles geduftet hatte – die jungen Blumen draußen und die alte Erde, und Claas’ Hemd hatte nach Schaf gerochen, das wusste ich auch noch, er war gerade hereingekommen vom Schafefüttern, und die Schafe waren etwas Neues und Aufregendes gewesen, genau wie das Haus, genau wie das Leben außerhalb der Stadt.
Ich schlang die Arme um seinen Hals, wie ich es vor neun Jahren getan hatte, ich schloss die Augen und zog einen vergangenen Claas an mich, und ich wollte sagen: Wie seltsam, ich liebe nicht dich, ich liebe den, der du gewesen bist, aber so etwas sagt man nicht. Ich sagte: »Du hast auch zu viel an.« Ich war genauso schlecht darin, Männerhosen aufzuknöpfen, wie Claas darin war, BHs zu öffnen, vor allem mit geschlossenen Augen. Wir verhedderten uns eine Weile ineinander, bis wir unsere Kleider irgendwie doch loswurden, und dann spürte ich Claas’ Hände auf meiner Haut. Sie waren sehr warm, und meine Haut war sehr kalt, wir waren wie die entgegengesetzten Pole einer Batterie, durch die ein Strom fließt.
Wo war eigentlich die Mauer? Meine unsichtbare Mauer? Für den Moment schien sie verschwunden, und ich hoffte, dass sie verschwunden blieb.
Ich versuchte, mich daran zu erinnern, wann wir das letzte Mal miteinander geschlafen hatten, aber ich wusste es nicht mehr. Ich erwartete nichts, absolut nichts, und vielleicht wurde es deswegen gut.
Der Strom, der durch die Batterie unserer unterschiedlich warmen Körper floss, riss mich mit und ließ es unwichtig werden, ob dies die Vergangenheit oder die Gegenwart war. Möglicherweise ist es auch die Zukunft, dachte ich, eine Zukunft, in der David wieder im Haus ist. Er ist oben in seinem Zimmer mit irgendeinem völlig abwegigen Projekt beschäftigt; dem Einlegen von Frühlingsblumen in Formalin oder dem Katalogisieren verschiedener Nudelsorten. Ich legte Claas eine Hand auf den Mund, »sch«, flüsterte ich, »leise … sonst kommt er die Treppe runter und startet ein neues Projekt … ein Fotoprojekt über Sofas … Das wäre dann … jetzt … nicht mehr jugendfrei …«
»Wer?«, flüsterte Claas.
Da dachte ich, dass dies wohl doch die Vergangenheit war, weil Claas nicht wusste, von wem ich sprach, und dass es vielleicht der Tag war, an dem David entstand. Ich bin betrunken, dachte ich, ich gleite durch die Zeiten wie ein Stück Seife, ich denke die seltsamsten Dinge. Also beschloss ich, gar nichts mehr zu denken, ich war einfach ein Körper, der sich mit einem anderen Körper zusammenschloss, um zu tun, wozu Körper gemacht waren, und das war richtig so.
»Lovis«, flüsterte Claas sehr viel später. »Lovis, Lovis.«
»Claas«, flüsterte ich.
Wir lagen nebeneinander auf dem Sofa, auf dem Rücken, obwohl das Sofa sehr schmal war. Claas ließ seine Hand über meinen nackten Bauch gleiten, und ich fing sie ein und hielt sie fest.
»Wir könnten wieder mal verrückte Dinge tun«, sagte ich. »Wir könnten nackt durch den Garten laufen, es ist sowieso dunkel, keiner sieht uns. Wie damals, weißt du noch? Wir haben so viele verrückte Dinge getan.«
Claas rollte sich auf die Seite und stützte sich auf einen Ellbogen, um mich im Dämmerlicht des Frühlings anzusehen. Ich strich mit dem Zeigefinger die Haut neben seinem Auge entlang. »Als wir das letzte Mal nackt durch den Garten gelaufen sind, hattest du diese
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