Paradies für alle: Roman (German Edition)
Tarzanschaukel reparieren kann, dachte ich, kann ich auch Frau Hemke nach Hause holen.
Der Hund, den ich mitgenommen hatte, sah mir zu, wie ich das neue-alte Tau absäbelte – etwas mühsam mit unserem Küchenmesser. Ich fand einen Ast, knotete ihn daran und kletterte mit der Schaukel in der Hand auf die große Baumwurzel, die oben neben der Brücke aus dem Erdreich ragte. Dann nahm ich den Schaukelast zwischen die Beine und sah nach unten. Es erforderte mehr Mut, von hier aus loszuschaukeln, als ich gedacht hatte.
Ich erinnerte mich daran, wie ich mit David vom Fünf-Meter-Brett gesprungen war, im letzten Sommer. Wir hatten uns beide zusammen gefürchtet und waren dann beide zusammen den entscheidenden Schritt nach vorne getreten, ins Nichts. Und der Bademeister hatte hinterher geschimpft, weil man das gar nicht zu zweit durfte. Das war vor Beginn der Paradieswerkstatt gewesen … Ob es in Davids Paradies Fünf-Meter-Bretter für Mütter und Söhne geben könnte?
Ich holte tief Luft und stieß mich von der Wurzel ab. Der Hund japste einmal kurz auf, als er mich fliegen sah. Es war ein irrsinniges Gefühl, die Schaukel schwang weit aus, ich öffnete die Augen wieder und merkte, dass ich ein breites Lächeln auf dem Gesicht trug. Hier also hatten David und Lotta geschaukelt, und nun konnten sie es wieder tun. Wenn David nach Hause kam, stand – hing – die Schaukel für ihn bereit. Irgendwie würde er es schon schaffen, darauf zu sitzen, auch ohne das linke Bein. Lotta und ich würden ihm helfen.
»Ich habe sie repariert«, flüsterte ich. »David, ich bin dabei, alles zu reparieren. Dein Paradies wird fertig sein, wenn du aus der Klinik kommst, du brauchst nur noch gesund zu werden. Ich habe eine Idee für René. Es gibt in der Stadt ein Café, das genau solche Leute einstellt wie René, mit angegliedertem Wohnprojekt, ich habe mal Bilder für die gemalt, ich habe Beziehungen … und für Celia fällt mir auch noch irgendetwas ein.«
Die Schaukel stand fast wieder still, als ich sah, dass jemand auf die kleine Brücke getreten war. Livia, Lottas Schwester. Sie hielt die unvermeidliche Zigarette zwischen den Fingern und hatte eine neu gefärbte Haarsträhne über dem rechten Ohr, pink.
»Ich würde da nicht schaukeln«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Ich bin abergläubisch. Kommt vermutlich vom Dorfleben.«
»Viel Glück in Hamburg«, sagte ich und sprang von dem Schaukelast. »Wann gehst du?«
»Sobald ich das nötige Geld zusammen habe«, sagte Livia. »Vielleicht schon nächste Woche.«
Ich nickte. Die meisten Leute gingen nächste Woche. Und dann nächste, und dann nächste.
»Vielleicht kann ich dir was leihen«, sagte ich und kletterte mit dem Ast wieder zu der Baumwurzel hinauf, um noch einmal zu schaukeln.
Drei Stunden später saß ich wieder im Lager auf der Intensivstation, vor der alten Schreibmaschine. Der nächste Text war wieder durch eine Fingerverschiebung auf der Schreibmaschine entstanden, es wurde immer leichter, die Dinge herauszufinden, diesmal musste ich die Finger nach unten statt nach oben verschieben, aber es dauerte nicht lange, bis ich das begriffen hatte.
David lag in seinem Bett und schlief seinen entrückten, unerklärbaren Schlaf. Er fieberte noch immer, aber nur leicht. Und er schien besser Luft zu bekommen.
Samstag war zur Abwechslung tatsächlich nicht da, aber das machte nichts, er würde wiederkommen, er würde nie einen alten Koffer nehmen und gehen und niemals ruhig in eine Kaffeetasse sehen und dabei Dinge sagen, für die ich ihn hassen musste.
Werkstattbericht – Eintrag 9
25. 2. 2012
Heute muss ich erstens von einer sehr schönen und zweitens einer schlimmen Sache berichten.
Es ist wirklich ärgerlich, dass ich nicht häufiger dazu komme, Dinge zu dokumentarisieren als ungefähr einmal im Monat. Liste der Gründe, warum ich nicht häufiger dazu komme, Dinge zu dokumentarisieren:
Notwendigkeit, im Februar in Gärten zu arbeiten, falls Frau Hemke wiederkommt, ich habe dafür jetzt ein Gartenbuch gekauft.
Mehrere Besuche bei Herrn Wenter zur beilaufenden Erwähnung, wie schön es ist, zum Arzt zu gehen, weil er schon wieder dünner und blässer geworden ist.
Stichproben-Überwachung von René abends, damit die Jungs von der Bushaltestelle ihn in Ruhe lassen. Einmal haben sie Stöckchen geschmissen und gesagt, er soll sie holen, das habe ich aber auch fotographiert und aufgehängt und danach war erst mal wieder Ruhe. Lotta sagt: die
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