Paradies für alle: Roman (German Edition)
bei David.«
»Es nützt nichts, über David zu sprechen«, sagte Claas. »Ich liebe auch David. Aber ich liebe dich unabhängig von David und unabhängig davon, ob du mich liebst. Versuch, es irgendwann zu verstehen. Diese ganze Sache ist schwer, sie ist unglaublich schwer, unmöglich schwer, un … unbeschreiblich. Aber sie wird vorübergehen, Lovis, und ich wünsche mir, dass wir dann zusammen hier in dieser Küche sitzen und noch immer miteinander reden. Oder schweigen. Von mir aus können wir ein ganzes Leben miteinander schweigen.«
»Ich will aber nicht schweigen«, sagte ich. »Ich will mit den Leuten reden. David hat auch mit den Leuten geredet, mit so vielen Leuten … Es gibt viel mehr Menschen mit eigenen Geschichten und eigenen Problemen hier im Dorf, als ich dachte … Ich fange jetzt an, sie zu sehen. Claas, er hat so unmögliche Dinge getan, um ihnen zu helfen … Natürlich ist das alles nach hinten losgegangen … Ich bin auf dem besten Weg, es herauszufinden. Er hat so viele Leute gegen sich aufgebracht … ich könnte schon eine ganze Liste machen …«
Claas sah aus dem Fenster. »Klar«, sagte ich bitter, »dich interessiert das alles nicht. Du sagst, du liebst mich oder David, aber wir haben dich nie interessiert, sonst wärst du irgendwann mal hier gewesen statt in der Klinik.«
»Es … interessiert mich«, sagte Claas, und seine Worte klangen seltsam abgehackt. »Ich war bei … bei der Polizei, Lovis, mehrfach, sie … sie suchen noch immer nach dem, der ihn im Auto mitgenommen hat … Er kann ja nicht den ganzen Weg zu Fuß zur Autobahn gelaufen sein in der Zeit … Ich will seinen Mörder finden, genau wie du.«
Er sah mich jetzt an, und ich begriff, warum er abgehackt gesprochen hatte. Er weinte. Die Tränen liefen aus seinen geröteten Augen wie kleine Tiere, krochen seine Wangen hinunter und ließen sich auf den Tisch fallen, wo sie zerbarsten. Ich hatte ihn noch nie weinen sehen. Ich hatte mir immer gewünscht, dass er einmal die Fassung verlor, aber jetzt machte es mir noch mehr Angst.
»Hör auf damit«, sagte ich hart. »Denkst du, so einfach ist das? Einmal weinen und alles ist vorbei? Es ist nicht vorbei. Wir dürfen nicht weinen, wir müssen kämpfen. Ich werde kämpfen, um David.
Du … du sagst, du liebst David … aber du hast nie Zeit für ihn gehabt, gestohlene Minuten am Wochenende … Wenn du mehr Zeit gehabt hättest, wäre es vielleicht nie passiert, er hätte einen Vater gebraucht …«
Da wischte Claas sich die Tränen aus dem Gesicht, auf einmal ärgerlich, und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Das ist wahr«, sagte er. »Absolut wahr. Aber du hast auch nie genug Zeit für ihn gehabt. Und das ist es, was eigentlich in dir nagt, Lovis. Es ist immer einfach, den anderen die Schuld zuzuschieben. Es reicht jetzt.«
»Ich habe wenigstens aus der Sache gelernt!«, rief ich und sprang auf. Der Stuhl fiel um, als ich aufsprang, und die Kaffeetasse fiel um, aber von mir aus hätte das ganze Haus umfallen können. In mir kochte eine unbändige Wut empor, womöglich lag es daran, dass ich im Grunde wusste, wie recht Claas hatte. »Ich werde mehr Zeit für ihn haben! Ich … ich habe schon so vieles geändert, seit der Unfall passiert ist, an meinem Leben geändert … Ich glaube, ich habe angefangen, David zu verstehen! Ich bin Teil seines Projekts geworden, seiner Werkstatt, ohne dass er bisher davon weiß …«
Claas saß noch immer am Tisch, ich sah auf ihn herab, auf seinen Kopf mit dem zu kurz geschnittenen schwarzen Haar, dem er keine Locken erlaubte, und ich sah, dass es an den Schläfen weiß wurde, ohne Zwischenstufe wie grau oder silbern, es wurde einfach weiß. Es war ein alter Mann, der da am Küchentisch saß und mich nicht ansah, nichts als ein alter Mann.
»Ich würde mir mehr Zeit nehmen, Lovis«, sagte er. »Wenn er zurückkäme. Gott weiß, wie sehr ich wünsche, ich könnte alles wiedergutmachen, indem ich mir mehr Zeit nehme.«
»Gerade Gott? Haha. Als würdest du an den glauben.« Ich kickte den umgekippten Stuhl mit dem Fuß weg, nur um gegen irgendetwas zu treten. »Du würdest dir also mehr Zeit nehmen, wenn. Wenn, wenn, wenn. Wie praktisch für dich, wenn er stirbt, dann brauchst du das nicht.« Ich spuckte Claas die Worte entgegen, und sie schmeckten ätzend und rot auf meiner Zunge.
Er sah auf seine Hände hinab, die zu Fäusten geballt auf dem Tisch lagen.
»Manchmal«, sagte er leise, »würde ich auch
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