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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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freundlich sein wollen, freundlich und bestimmt, aber wie kann man zu einem Umriss aus Worten freundlich sein?
    DavidstirbtDavidstirbtmachenesihmleichtereinenUnfallaufderA20Davidstirbt.
    »Kannst du aufhören, auf mir herumzuhacken, und einen Moment lang vernünftig sein?«, fragte Claas. »Ich mache uns einen Kaffee. Wir könnten wenigstens eine Viertelstunde kommunizieren wie erwachsene Menschen.«
    Ich öffnete die Tür ganz, um ihn hereinzulassen, und sagte: »Ja, Herr Lehrer«, damit er draußen blieb. DavidstirbtEinenUnfallIhmLeichterAufderA20. Er kam trotzdem herein, und ich wusste nicht, ob ich froh darüber war oder nicht.
    Als ich in der Küche saß und ihm stumm zusah, wie er Kaffee machte, fühlte sich alles sehr seltsam an. Der Umriss aus Worten verwandelte sich wieder in Claas, und es war ein so gewohnter Anblick, wie er die Kaffeedose vom Regal nahm. Wie er den Wasserkocher anstellte, Tassen aus dem Regal nahm. War dies tatsächlich das Ende? Das Ende von Claas und mir als einer Einheit, und sei es nur einer funktionellen? Als er vor der Tür gestanden hatte, war ich mir sicher gewesen, und jetzt schien es wie ein völlig abstruser Gedanke, wie eine Entscheidung, die ich gar nicht treffen konnte. Als hätte ich entschieden, dass die Erde auf einmal nicht mehr rund wäre oder die Dinge von unten nach oben fielen statt umgekehrt.
    Wir sitzen hier ein letztes Mal mit unseren Tassen, dachte ich, ich sage zum letzten Mal: Hier ist die Milch, ich sehe Claas zum letzten Mal in dieser Küche seinen Kaffee umrühren. Wem werden die Kaffeetassen gehören, diese lächerlich großen Keramiktassen, die wir damals auf dem Töpfermarkt gekauft haben? Mir oder ihm? Lass sie uns alle einzeln zerschmeißen, sie sind nichts wert ohne ein Wir und ein Uns. Und dann dachte ich wieder an David, und die Frage, ob eine Beziehung endete oder nicht, erschien mir sehr klein und unwichtig neben der Frage nach dem Tod eines Kindes.
    »Sie haben den Keim gefunden«, sagte ich, »der verantwortlich ist für die Lungenentzündung. MRSA, so ein multiresistentes Ding … aber es ist nicht gegen alle resistent … sie haben die Antibiose umgestellt.«
    »Ich weiß«, sagte Claas und sah in seine Tasse. »Ich habe telefoniert.«
    »Die Lungenentzündung wird also vorübergehen. Es wird gar nicht nötig werden, ihn zu intubieren.«
    »Lovis, dieser MRSA, den haben eine Menge Patienten, die lange liegen. Bei den meisten erfährt man es nicht, weil man nicht danach sucht. Wir wissen überhaupt nicht, ob der MRSA für die Pneumonie verantwortlich ist. Aber selbst wenn … Und wir wissen nicht, ob das Fieber von der Pneumonie kommt. Es kann etwas anderes sein. Eine Enzephalitis, eine Entzündung des Gehirns, er hat ein offenes Schädelhirntrauma …«
    »Worauf willst du hinaus?«, fragte ich und sah ihn an. Oberflächlich war ich wütend, aber unter dieser Oberfläche hatte ich Angst. Natürlich, unterhalb der Oberfläche hatte ich immer Angst gehabt, vor allen, schon als Kind. Deshalb hatte ich die Mauer aus grauen Kästchen um mich gebaut. Zum Schutz. »Du wirfst mit medizinischen Diagnosen oder Nicht-Diagnosen um dich wie mit Konfetti«, sagte ich. »Worauf? Willst? Du? Hinaus?«
    »Hast du die Bilder gesehen?«
    »Bilder?«
    »Das CT von seinem Gehirn.«
    »Nein, und selbst wenn, ich könnte nichts darauf erkennen, das weißt du. Und selbst wenn ich etwas darauf erkennen könnte und selbst wenn es schlimm wäre, würde ich nicht aufgeben. Wunder geschehen. Samstag hat das auch gesagt. Kein Mensch weiß genau, was in Davids Hirn vor sich geht. Man braucht übrigens nur einen sehr kleinen Teil der Hirnzellen, die man hat, ich habe mal einen Artikel darüber gelesen … es ist okay, wenn ein paar zerstört werden, die übrigen reichen. Teile des Hirns können lernen, die Aufgaben von anderen Teilen zu übernehmen …«
    Meine Worte zerrannen in der Luft, die noch laue Frühlingsluft war und mir doch eher schien, als wäre es die Luft eines kalten Januartages. Oder einer Januarnacht, in der David Lotta auf dem Rücken durchs Dorf trug … Prinz Goldhaar aus dem alten Pfarrhaus.
    Wir schwiegen lange.
    Schließlich sah Claas auf, und seine Augen waren rot gerändert wie im Hochsommer, wenn der Heuschnupfen ihn quält. »Ich möchte, dass du eines weißt«, sagte er. »Ich liebe dich noch immer. Ich habe all diese Jahre nicht aufgehört, dich zu lieben.«
    »Kitsch as Kitsch can«, sagte ich. »Aber das war nicht unser Thema. Wir waren

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